Greta Thunberg bei Klimaprotesten in Berlin

"Wir wollen eine Zukunft, ist das zu viel verlangt?"

Am Freitag kamen 25.000 Menschen zum allfreitäglichen Schulstreik fürs Klima. Es hatte sich ein prominenter Gast angekündigt: Greta Thunberg, die Gründerin der Bewegung. Mit Spannung wurde ihre Rede erwartet. Mittlerweile sind es nicht mehr nur Schüler, die an den Demonstrationen teilnehmen, längst beteiligen sich auch ältere Generationen. Und einige von ihnen versuchen, die erfolgreiche Bewegung zu nutzen, um ihre eigenen Themen zu platzieren.

Niko (13) hat Angst, in der Zukunft nicht leben zu können. Deswegen macht er mit bei "Fridays for Future", der Schülerbewegung, die seit 13 Wochen jeden Freitag gegen die Untätigkeit im Angesicht des Klimawandels demonstriert, während ihre Teilnehmer ganz bewusst vom Unterricht fernbleiben. Niko hat bisher erst ein Mal geschwänzt. Seine Eltern stehen dahinter, sein Vater hat sich heute sogar frei genommen und ist mit dabei als Aufsichtsperson. Heute geht nämlich die ganze Klasse zur Demo. Das ist offiziell angemeldet und genehmigt. "Wir betten das Thema in den Unterricht ein", sagt die Biologie- und Chemielehrerin, die ebenfalls anwesend ist. Heute sei das ein einmaliger, offizieller Schulausflug, für die übrige Zeit hat sich die Berliner Integrierte Sekundarschule darauf geeinigt, den Spagat zwischen Schulpflicht und Demonstrationsrecht so zu lösen, dass die Fehlstunden zwar im Zeugnis aufgeführt werden, allerdings mit dem Hinweis auf das politische Engagement der Schüler.

Vom Hauptbahnhof aus strömen Scharen junger Leute in Richtung Invalidenpark, die Busse fahren wegen der Demo nicht weiter. Der Platz, der vor der Charité liegt, ist voll, 25.000 Protestierende werden es am Ende sein. Alle möglichen Altersgruppen sind vertreten, nicht nur Schüler jeder Stufe, auch Kindergartenkinder sind da, viele Erwachsene sind ebenfalls gekommen. Manche sehen so aus, als wären sie bei den großen Umweltbewegungen in den 70er und 80er Jahren auch schon dabei gewesen.

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Demonstrant versucht, seine eigenen Themen unterzubringen (Foto: © Gisa Bodenstein)

Einige Demonstranten versuchen, ihre eigenen Themen auf die Freitagsdemonstrationen der Jugendlichen zu tragen. So hat ein Mittdreißiger ein Schild dabei auf dem steht, die Kinder sollen bitte auch globale Armut, Kriege und das "unmenschliche kapitalistische Konkurrenz-, Verwertungs- und Akkumulationssystem" bekämpfen. Überhaupt sind die Forderungen rund um das komplexe Thema Klima sehr vielfältig: An einer Seite des Platzes hat sich eine Gruppe Menschen versammelt, die für vegane Ernährung eintritt, andere kritisieren die Plastikverschmutzung der Meere, wieder andere das Artensterben. Und die "Omas gegen Rechts" sind auch noch da.

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Grundschullehrerin mit ihrer Klasse bei der Demo (Foto: © Gisa Bodenstein)

Eine Grundschullehrerin ist mit ihrer ganzen Klasse hier. "Ich erfülle hier meinen Bildungsauftrag, laut Rahmenplan der Berliner Grundschulen sind wir zu Demokratiebildung und Umwelterziehung verpflichtet." Ihre Demoschilder hätten die Kinder selbst im Kunstunterricht gestaltet, die Schulleitung habe den Ausflug genehmigt. Die Eltern stünden zu hundert Prozent dahinter. Überhaupt sieht man auch immer wieder Erwachsene, die den Jugendlichen ihre Anerkennung zollen. "Wir sind so stolz auf euch!", hat eine Frau auf ein Schild geschrieben und steht am Rand, während die Demonstranten an ihr vorbeilaufen.

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Erwachsene sind stolz auf die streikenden Schüler (Foto: © Gisa Bodenstein)

Mit etwas Verspätung bewegt sich die Masse zum Platz vor dem Neuen Tor. Dort formiert sich der Demonstrationszug. An der Spitze ist Gedränge, ein Wald von Kameras und Mikrofonen ist darauf gerichtet. Dort in der ersten Reihe, welche das Galeonsfiguren-Transparent hält ("Our house is on fire"), viel kleiner als alle um sie herum: Greta Thunberg, die 16-jährige Schwedin mit den geflochtenen Zöpfen, die alleine damit anfing, freitags lieber vor dem schwedischen Parlament zu protestieren als zur Schule zu gehen. Mittlerweile ist sie die Ikone einer Generation, Frau des Jahres in Schweden, Trägerin des Sonderpreises Klimaschutz der Goldenen Kamera und sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. Jeder will sie sehen und ein Foto von ihr machen. Sie wirkt angestrengt. Gewohnt skeptisch und ernst blickt sie an der Seite der deutschen Frontfrau der Klimabewegung, Studentin Luisa Neubauer, in die Kameras.

Der Demonstrationszug führt bis zum Brandenburger Tor, wo Greta Thunbergs sogar auf der offiziellen Internetseite der Stadt Berlin angekündigte Rede mit Spannung erwartet wird. "Wenn wir ein Foto von Greta haben, gehen wir", klagt ein Junge aus einer Gruppe Sechstklässler. Auf die Frage, warum sie hier sei, entgegnet die elfjährige Dido: "Weil's der Umwelt beschissen geht und man was dagegen machen muss." Ihre Eltern hätten sie überzeugt, herzukommen, ihr Vater habe ihr ein Video von Greta gezeigt. "Ist schon cooler sowas zu machen als in die Schule zu gehen", sagt sie, auch wenn sie anfangs skeptisch gewesen sei. Besonders überzeugt wirkt zumindest diese Gruppe nicht. Man fragt sich unwillkürlich, ob – bei allem Respekt der Bewegung gegenüber – alle Teilnehmenden die Komplexität der Thematik in ihrem teils noch sehr jungen Alter schon vollends erfassen können. Ganz zu schweigen von der Tragweite, die ihre Forderungen hätten, wenn sie denn ganauso umgesetzt würden: Weniger, am liebsten gar keine Autos und ein sofortiger Kohleausstieg. Konkreteres ist über die Ziele der Bewegung noch nicht bekannt.

"We want system change" skandiert der Bandleader auf der Bühne, dessen Jugend mutmaßlich in den Hippiejahren stattgefunden hat und der die Zeit bis zu Greta Thunbergs Rede überbrücken soll – und die Menge ruft zurück. So schleichen sich die Themen derer ein, die sich immer einklinken, wenn irgendeine Form von Protest die Schwelle der öffentlichen Wahrnehmung überschreitet. Die jungen Klimaretter müssen aufpassen, dass ihre Bewegung nicht von den System- und Nationalismuskritikern gekapert wird und mangels eigenem Forderungskatalog, der eigentlich vergangene Woche hätte vorgestellt werden sollen, ein unglaubwürdiges Potpourri von mit der Gesamtsituation Unzufriedenen wird.

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Redebeitrag von "Scientists4Future"; rechts im Bild: Luisa Neubauer (Foto: © Frank Nicolai)

Es folgen verschiedene Reden aus dem In- und Ausland, aus Belgien und Frankreich, am Invalidenpark hatten bereits Vertreter aus Polen, der Schweiz und Großbritannien gesprochen. Die Bewegung zeigt, wie europäisch und international sie ist. Eine Vertreterin von "Scientists4Future", einer Initiative von mittlerweile 23.000 Wissenschaftlern, die sich hinter die Schülerbewegung stellen, sagt: "Wenn jetzt angefangen wird, den jungen Menschen auf der Straße die Kompetenz abzusprechen (…), dann ist es doch unser Job klarzumachen, dass das nicht stimmt. (…) Ihr habt Recht." Die Wissenschaftler seien dafür da, die Evidenzbasis für Politik bereitzustellen. Die müsse nun die Ziele erreichen, die sie sich selbst gesetzt habe.

Und dann kommt sie, die sehnlich erwartete Hauptrede – und sie fällt ziemlich kurz aus. Greta Thunberg bedankt sich bei allen für ihr Kommen. "Die älteren Generationen sind daran gescheitert, die größte Krise zu bewältigen, der die Menschheit je gegenüberstand", sagt sie unter dem Jubel der Demonstranten. "Wir sollten uns Sorgen machen, wir sollten Panik haben, und damit meine ich nicht schreiend in der Gegend herumzurennen; mit Panik haben meine ich, dass wir unsere Komfortzonen verlassen. Denn wenn man in einer Krise steckt, verändert man sein Verhalten. (…) Wir wollen eine Zukunft, ist das zu viel verlangt?" Das Ganze sei nur der Anfang vom Anfang, kündigt sie zum Schluss an, nach gut zwei Minuten verlässt sie die Bühne wieder. Die Menschen vor dem Brandenburger Tor feiern die 16-jährige Schwedin mit Sprechchören.

Luisa Neubauer wünscht sich, sagt sie noch, dass man von der Schulschwänzdebatte zur Klimadebatte komme, das sei auch Aufgabe der Medien. Als Letzter betritt noch Prof. Johannes Vogel, Leiter des Berliner Naturkundemuseums, die Bühne: "Kommt vorbei und redet mit uns. Ihr habt freien Eintritt!", ruft er den Schülern zu.