Umstrittene Initiative veranstaltet "Ex-Muslim-Konferenz"

Auf Einladung der "Initiative an der Basis" kamen in Berlin sechs frühere praktizierende Muslime zusammen, um ihre Geschichte zu erzählen, wie sie ihren Glauben verloren, wie sie sich heute als Kritiker der Religion betätigen und was ihrer Meinung nach falsch laufe im Umgang mit dem Islam. Dabei wurde teilweise auch die Grenze zum Antimuslimismus überschritten.

Anfang September fand in Berlin eine umstrittene Veranstaltung statt: Eine "Ex-Muslim-Konferenz" mit sechs Teilnehmern aus Großbritannien, Kanada, Deutschland und Australien, die "Tacheles reden", so die Ankündigung. Zu der dreistündigen Diskussion hatte die "Initiative an der Basis mit Migranten & Flüchtlingen" eingeladen. Dieser Zusammenschluss aus "Lehrern, Erziehern, Ehrenamtlichen, Sozialarbeitern, BAMF-Übersetzern und Dolmetschern, Justizangestellten, Psychologen, Ärzten, Polizisten sowie säkular und kritisch eingestellten Flüchtlingen und Migranten", wie es auf der Website heißt, hatte sich in der Vergangenheit vor allem in rechten Medien einen Namen gemacht. Darüber hinaus hat die Initiative einen Forderungskatalog verabschiedet. Darin ist von der "klaren Kommunikation europäischer Werte und einer europäischen Leitkultur gegenüber Geflüchteten" die Rede, von einer Verpflichtung von Flüchtlingen ohne Sprachkurs, Arbeit oder Ausbildung zu kommunaler, gemeinnütziger Arbeit und davon, dass Asyl eine "zeitlich befristete Aufnahme im Gastland Deutschland" bedeute sowie keine Straftäter geduldet werden und man den Islam nicht fördern solle. Darüber hinaus will das Bündnis das Berliner Neutralitätsgesetz bundesweit etablieren und beruft sich auf Terres des Femmes und die 1. Kritische Islamkonferenz. Der letzte Punkt der Liste ist fett gedruckt: "Aufnahmestopp für die nächsten drei Jahre, um die aufgelaufenen Probleme zu reflektieren und angemessene Lösungen zu finden."

Bekannteste Person der Initiative ist Rebecca Sommer, frühere Menschenrechtsaktivistin bei der "Gesellschaft für bedrohte Völker" und "Earth Peoples". Dort setzte sie sich für die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen ein und produzierte unter anderem Dokumentarfilme zu dieser Thematik im Auftrag des Ständigen Forums für indigene Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UNPFII). Später engagierte sie sich in der Flüchtlingsarbeit und entwickelte dort eine ablehnende Haltung gegenüber Menschen, die aus islamischen Ländern nach Europa kommen. Vor allem ein ausführliches Interview, das zuerst in einem polnischen Onlinemedium erschien, sorgte für Kontroversen: Darin äußert Sommer neben berechtigter Kritik antimuslimische Positionen, Pauschalisierungen und Behauptungen und neigt zu Übertreibungen: Muslimische Geflüchtete schauten "mit Hochmut und Arroganz auf uns Ungläubige herab" und bedienten sich der "Taqīya", um den Europäern etwas vorzuspielen, sie zu täuschen und zu manipulieren, um sie zu schwächen und den Islam voranzubringen. Dieses Prinzip der "Taqīya" existiert tatsächlich, es ist aber nicht, wie Rebecca Sommer behauptet, ein Freibrief, Nicht-Muslime in die Irre zu führen, sondern ist gedacht für lebensbedrohliche Ausnahmesituationen, in denen es erlaubt ist, den eigenen Glauben zu verheimlichen.

"Wenn man nur bedenkt, wie viele Menschen plötzlich hierherkommen, die ein Kopftuch im Kopf tragen, und alleine schon durch ihre Masse hier alles verändern", ist eine weitere ihrer Aussagen in dem Interview. Flüchtlinge – und viele unter ihnen sind ihrer Auffassung nach nicht-verfolgte Immigranten – versuchten, "uns ihre frauenfeindlichen, mittelalterlichen Werte aufzuzwingen und damit auf lange Sicht uns allen zu schaden." Und die Gerichte, die "bei uns eher links orientiert" seien, würden mit zweierlei Maß messen, "langsam hören unsere Gesetze auf zu funktionieren". "Vergewaltigungen führen vor deutschen Gerichten in der Regel so gut wie nie zu harten Verurteilungen. Insbesondere, wenn Migranten die Täter sind", lautet eine andere Behauptung. Auch über bestimmte Vokabeln wie "Passdeutsche" ordnet Sommer sich selbst dem rechten Spektrum zu. Sie beruft sich ausschließlich auf persönliche Erfahrungswerte ("Ich habe meine Fakten"). Diese könnte man auch als gefühlte Wahrheiten bezeichnen, die teilweise in offener Fremdenfeindlichkeit münden ("Somalische Flüchtlinge bewerte ich persönlich als besonders gefährlich, wegen ihres religiösen Fundamentalismus, ihrer auch kulturell bedingten Verachtung Frauen gegenüber.") An anderer Stelle warnt Rebecca Sommer vor dem Islam als politischer Kraft in der Parteienlandschaft, wodurch Muslime bald "Gesetze zu ihren religiösen Gunsten verändern" würden und "nicht aufzuhalten" seien.

In einem Tagesseminar der "Initiative an der Basis" zum Migrations- und dem Flüchtlingspakt der Vereinten Nationen vertrat sie die These, es sei "Ziel des UN-Systems (…), um jeden Preis eine Replacement-Migrationspolitik durchzusetzen". Das klingt sehr nach der Verschwörungstheorie des "großen Austausches", die bei den Neuen Rechten beliebt ist und auf die sich auch der Attentäter von Christchurch berief. Immer wieder sprach sie von Verpflichtungen, Flüchtlinge aufzunehmen, obwohl keines der beiden Abkommen rechtlich bindend ist. Generell scheint sie auch die deutsche Bevölkerung als eine Art "indigenes Volk" zu begreifen ("Als Staatsvolk haben wir (…) ein Recht darauf, unsere Art des Lebens, unseren Wertekanon, unsere kulturelle Identität und auch unsere Sprache für die Zukunft zu pflegen und zu erhalten"), das vor äußeren Einflüssen geschützt werden müsse. Auch diese Position des "Ethnopluralismus", wonach Kulturen gleichwertig nebeneinander existieren sollten, aber eine Vermischung verhindert werden müsse, entstammt dem neurechten Milieu.

"Das gab es noch nie"

Aus ihren Erfahrungen heraus und dem Bedürfnis, die Öffentlichkeit zu warnen, gründete Rebecca Sommer die Initiative, die nun zur "Ex-Muslim-Konferenz" eingeladen hatte. Einer der Teilnehmer, Kian Kermanshahi, hatte diese im Vorfeld bei der Achse des Guten in einem Artikel als "Wendepunkt in der Geschichte im Umgang mit dem Islam in Deutschland" angepriesen. "Noch nie hat es in Deutschland eine Ex-Muslim-Konferenz dieses Formats von solchen Menschen gegeben, die vorher praktizierende Muslime waren und aus verschiedensten Gründen heraus den Islam verlassen haben", heißt es dort weiter. Auf die Frage, ob die etwas chaotische Veranstaltung im ersten Stock einer Kreuzberger Kneipe wirklich etwas so revolutionär Neues im Vergleich zu den beiden Kritischen Islamkonferenzen, die in wesentlich größerem Rahmen in den Jahren 2008 und 2013 stattgefunden hatten, sei, erklärte Kermanshahi: "Das gab es noch nie, dass sich ehemalige praktizierende Muslime, die jetzt Ex-Muslime sind, zusammengefunden haben, um eine Ex-Muslim-Konferenz zu veranstalten." Auf die Anmerkung, dass ja auch auf der Kritischen Islamkonferenz namhafte Ex-Muslime wie Hamed Abdel-Samad und Mina Ahadi gewesen seien, erwiderte er, Mina Ahadi habe keinen religiösen Background und sei nie praktizierende Muslima gewesen. Ahadi ist Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime in Deutschland, des Gremiums, das die Bezeichnung "Ex-Muslime" prägte, und war nach eigener Aussage früher eine gläubige Frau.

Kian Kermanshahi ist in Deutschland geboren und hat kurdische Wurzeln. In seiner Jugend war er schiitischer Muslim, verehrte die islamische Revolution im Iran, war Mitorganisator der israelfeindlichen Al-Quds-Demonstration in Berlin und Mitbegründer zweier dortiger Moscheen. Vor fünf Jahren begann er, verschiedene Glaubensdogmen zu bezweifeln und fing an nachzuforschen, um die Positionen fundamentalistischer Muslime zu widerlegen. Dabei sei ihm klargeworden, dass nicht die anderen, sondern er den Islam falsch verstanden hätte. Das hatte schließlich zur Folge, dass er zuerst das Schiitentum und dann den Islam hinter sich ließ. Aktuell lebt er in Großbritannien und betreibt einen "Ex-Muslim Blog".

30 bis 40 Gäste hatten ihren Weg zu der Veranstaltung gefunden, deren Ort man erst nach einer schriftlichen Anmeldung mitgeteilt bekam, fast alle Plätze in dem kleinen Raum waren besetzt. Eine Mitarbeiterin der Initiative begrüßte die Anwesenden und die "alternativen Medien" und erklärte, dass sie zunehmend blockiert würden, unter anderem von Facebook. "Obwohl wir eigentlich nichts anderes sind als bürgerliche Menschen, die mit Flüchtlingen zusammenarbeiten. (…) Auf unserem Webauftritt tun wir nichts anderes, als von unseren alltäglichen Erfahrungen zu berichten." Die Konferenzteilnehmer machten darauf aufmerksam, dass man in Deutschland dringend über den Islam und sein Verhältnis zur offenen Gesellschaft diskutieren müsse, ob eine Gemeinsamkeit hergestellt werden könne oder die Unvereinbarkeit bestehen bleibe, so die Moderatorin.

Kermanshahi, der selbst Mitglied der "Initiative an der Basis" ist, stellte zunächst sich und alle anderen Teilnehmer auf Deutsch vor, die anderen – die nur Englisch sprechen – wiederholten ihre Geschichte dann zu Beginn ihres Statements jeweils noch einmal selbst. Kian Kermanshahi sprach davon, Menschen von der "islamischen Seuche" zu befreien, zu läutern. Man dürfe den Islam nicht wie andere Weltanschauungen behandeln, denn er sei "völlig anders (…) als irgendetwas, was wir im Moment auf diesem Planeten hier an Ideen finden". Der Wahl-Brite wolle daran mitwirken, den Islam in Deutschland zurückzudrängen. Er unterstütze die islamische Reformbewegung nicht, sagte er. Ihre Vertreter, die "auf der politischen Bühne herumtanzen" griff er scharf an: Seyran Ateş und Mouhanad Khorchide verträten einen "Blümchenislam", "das islamische Utopia" oder auch einen "Fantasieislam", der nur in ihren Köpfen existiere. Sie seien nicht auf der Seite der Ex-Muslime und seien "keine Hilfe für uns". Vor ein paar Jahren klang das noch anders: Im Blog "Natur des Glaubens" auf sprektrum.de findet man ein Interview von 2017, in dem er sich hoffnungsvoll über einen "humaneren Islam" à la Khorchide äußert.

"Pfeift auf die Menschenrechte"

Kian Kermanshahi will den Islam "entlarven" und habe kein Interesse an einem "Schmusekurs" zwischen muslimischen Gemeinden und dem deutschen Staat. Denn: "Nichts ist unmöglicher als die Integration des Islam in Deutschland". Deutsche Politiker hätten nicht verstanden, welch gefährliches Potenzial im Islam liege, wenn wir mehr muslimische Zuwanderung bekämen und Muslime sich politisch organisierten. Er zitierte Studien, die in Deutschland 17 Millionen Muslime bis 2050 prognostizieren, das entspräche etwa einem Viertel der Bürger. Damit zeichnete er das gerne von Rechten benutze Bild der muslimischen Bevölkerungsexplosion nach. Zwar gibt es tatsächlich eine solche Prognose des Pew Research Centers von 2017, er zitiert aber lediglich eines von drei möglichen Szenarien – und zwar das, welches mit sehr hohen Zuwanderungszahlen kalkuliert. "Pew hat in religionspolitischen Fragen bisweilen sehr eigenwillige Ansichten, die nicht mehr als seriös zu bezeichnen sind", kommentiert Carsten Frerk, Koordinator der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid), die Studie.

Die hohen Geburtenraten unter Muslimen hat fowid bereits Anfang 2018 als Mythos kritisiert. Demnach lässt sich weltweit kaum ein Zusammenhang zwischen einer bestimmten Religion und den Geburtenraten feststellen. In Deutschland liegt die Fertilitätsrate im Bundesdurchschnitt beispielsweise nur unwesentlich (0,8) unter der von türkischstämmigen Müttern, letztere ist zusätzlich rückläufig. fowid fasst zusammen: "Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass aus den bislang vorliegenden Zahlen durch keine Gruppe (nach Staatsangehörigkeit) irgendeine zahlenmäßige 'Überfremdung' durch Geburtenraten droht." Ende 2015 lebten nach Berechnungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zwischen 4,4 und 4,7 Millionen Muslime in Deutschland, das entspricht zwischen 5,4 und 5,7 Prozent der Bevölkerung. fowid schätzt außerdem, dass 20 Prozent davon nichtreligiöse Kultur-Muslime sind. Das reduziert den Bevölkerungsanteil gläubiger Muslime auf 4,32 beziehungsweise 4,56 Prozent. Vor dem Hintergrund der Zuwanderungsdiskussion ebenfalls interessant ist, dass lediglich knapp 61 Prozent der Asylantragssteller im Jahr 2018 Muslime waren.

Er arbeite derzeit an einer Untersuchung zu muslimischen Parteien in Europa, fuhr Kian Kermanshahi fort, und derzeit seien 20 auf dem Weg. In Belgien sei es schon so weit, dass die muslimische Partei die Forderung ins Parlament eingereicht habe, dass es in Belgien getrennte Busse für Männer und Frauen geben solle. Hier muss man allerdings differenzieren: Es gab diesen Fall, jedoch ging es hier lediglich um das Wahlprogramm der Partei "Islam" auf kommunaler Ebene in Brüssel, die mit ihren 313 Mitgliedern dort einigen Gegenwind bekam. Das war im Oktober 2018, seitdem hat man nichts mehr davon gehört. Ins Parlament hat es diese Forderung jedenfalls nicht geschafft.

Säkulare, Humanisten, Freidenker und Demokraten sollten den Takt angeben. Er wünsche sich eine Bürger-Protest-Bewegung, die eine breite Debatte auslöst, wie viel Islam das Land vertrage. Die Flüchtlinge, die seit 2015 ins Land kamen, brächten "ein gestörtes Weltbild" und "immense Probleme" mit. "Wir brauchen keine Islam-Reformer, weil uns der Islam nichts angeht. Wir brauchen den Islam hier nicht. Er ist nicht ein Teil unserer kulturellen Identität, nicht ein Teil der deutschen Geschichte."

"Pfeift auf die Menschenrechte, wenn diese Menschen auf diese Menschenrechte von den Menschen pfeifen, die in unserem Land friedlich leben wollen", war Kermanshahis Antwort auf die Publikumsfrage, wie man das Dilemma lösen könnte, dass es Menschen gibt, die aus einer lebensbedrohlichen Lage flüchten, aber deren Ansichten der hiesigen Werteordnung widersprächen. Bei einer anderen Veranstaltung mit der WerteUnion Berlin (einer konservativen Gruppierung innerhalb der CDU/CSU) äußerte er einen weiteren bezeichnenden Satz: "Kritik am Islam ist auch unweigerlich Kritik an den Muslimen."

Er führte die antisemitische Verbalattacke auf den Betreiber des israelischen Restaurants "Feinberg's" als Beispiel für muslimischen Antisemitismus an. Der Angreifer sei Palästinenser gewesen. Dies war nachweislich nicht der Fall, wie das zugehörige Video zeigt: Es handelte sich um einen deutschen Wutbürger. Beim hpd-Interview am Folgetag der "Ex-Muslim-Konferenz" darauf angesprochen, räumte Kian Kermanshahi nach einigem Hin und Her ein, den Fall mit dem Gürtel-Angriff auf einen Kippa-Träger durch einen syrischen Flüchtling verwechselt zu haben. Daraufhin bezeichnete er die Nachfragen des hpd als "Kreuzverhör" in einer feindseligen Atmosphäre und gab an, auf so etwas hätte er sich besser vorbereiten müssen. Dann brach er das Interview ab.

"Freie Meinungsäußerung ist fantastisch!"

Der nächste Redner war Veedu Vidz, der als Kleinkind von Pakistan nach Großbritannien kam. Er wuchs als "Mainstream-Muslim" auf und fing nach 9/11 an, an seiner Religion zu zweifeln, die Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo stießen ihn ab. Durch die Universität wurde er mehr und mehr zum Rationalisten. Er beschäftigte sich auch mit Richard Dawkins, Christopher Hitchens und Sam Harris, jedoch aus einer verteidigenden Position. Nicht sie hätten ihn zum Atheisten gemacht, sondern andere Muslime, die ihm sagten, er sei Atheist. Obwohl er sich beleidigt fühlte, hätten sie ihm den Spiegel vorgehalten und so hätte er erkannt, dass von seinem Glauben nichts übriggeblieben war. Heute betreibt er einen Youtube-Channel, auf dem er sich satirisch mit dem Islam auseinandersetzt. Viele Muslime hätten positiv auf seine Videos reagiert. "Ich denke, es gibt einen großen Markt für Satire, Comedy, Kunst und Musik in der muslimischen Welt. Aber es gibt eine lautstarke Minderheit, die den Leuten den Mund verbieten will." Man müsse sicherstellen, dass ihnen das in Europa nicht gelinge. Denn: "Muslime können bessere Muslime in Europa sein". Er wolle ihnen zeigen: "Freie Meinungsäußerung ist fantastisch!" Er wolle, dass Muslime mit ihrer Religion Spaß hätten. "Das ist mein Ansatz." Er wolle selbstkritisch sein, aus Liebe, nicht aus Hass. "Leider verlieren wir gerade den Kampf um die freie Meinungsäußerung." Die unheilige Allianz aus Linksradikalen und Islamisten habe schon manchen Anhänger der Redefreiheit zum Schweigen gebracht. "Wir müssen sie herausfordern!", denn das freie Wort sei die Grundlage aller anderen Freiheiten. Er wolle auch, dass Muslime sagten, was sie denken, selbst wenn es verrückt sei, damit man diskutieren könne. Und wenn man nur das sagen dürfe, was nicht beleidigend sei, könne man gar nichts mehr sagen. Man dürfe nicht den Fehler machen, die eigenen Standards für einen Teil der Gesellschaft herabzusetzen, nur, weil dieser sich damit schwertue.

Danach war Mohamed Hisham an der Reihe. Er wurde in seiner Kindheit religiös indoktriniert, dies beschreibt er als "traumatische Erfahrung". Nachdem er Englisch gelernt hatte, beschäftigte sich der Ägypter mit Wissenschaft und westlicher Philosophie. Er distanzierte sich innerlich vom Koran mit seiner hasserfüllten Sprache und begann, den Propheten als gewalttätige Person abzulehnen. So löste er sich schließlich von seiner Religion. Er folgte einem Aufruf in den sozialen Netzwerken, in dem ein Atheist für eine ägyptische Talkshow gesucht wurde. Er hatte den Mut, sich zu melden. "Ich brauche keine Religion, um Werte und Moral zu haben oder ein produktives Mitglied der Gesellschaft zu sein", sagte der junge Mann zu Mahmoud Ashour, dem stellvertretenden Scheich der bedeutenden Al-Azhar-Universität. Darüber hinaus gebe es keinen wissenschaftlichen Beweis für die Existenz Gottes. Viel weiter kam er nicht: Der Geistliche und der Moderator redeten von da an auf ihn ein, er brauche dringend psychiatrische Hilfe, anschließend wurde er aus der Show geworfen – nachdem sich der Moderator bei den Zuschauern für Hishams Äußerungen entschuldigt hatte. Das war im Frühjahr 2018. Der Beginn eines Martyriums für den schwulen Ungläubigen: Seine strengreligiöse Familie sperrte ihn ein, seine Moscheegemeinde versuchte, ihn umzuerziehen, auch mit physischer Gewalt, sodass er vorgeben musste, wieder zum Islam zurückgefunden zu haben. Schließlich hielt er es nicht mehr aus, floh und stellte im Mai dieses Jahres im Transitbereich des Frankfurter Flughafens einen Antrag auf Asyl. Seitdem lebt er in einer Flüchtlingsunterkunft in Hessen. Das sei sehr belastend, er habe keinerlei Privatsphäre und er sei umgeben von gläubigen Muslimen, die ihm feindlich gesinnt seien. Er träumt von einer eigenen Sendung für die LGBTQ-Community in Ägypten. Sein erster Asylantrag wurde nun jedoch abgelehnt. Er war den Tränen nahe, als er seine Geschichte erzählte.

Mimzy Vidz, die mit Veedu Vidz verheiratet ist, wuchs in einer "muslimischen Filterblase" in London auf. Ihr Vater war Islamlehrer und eine wichtige Persönlichkeit in der zentralen Moschee. Er verließ den Islam später jedoch, was sie zunächst animierte, eine noch bessere Muslima sein zu wollen und ihn wieder "zurückzubringen". Aber je tiefer sie eintauchte, desto mehr Probleme hatte sie mit ihrer Religion, vor allem mit der Rolle der Frau. Sie setzte sich mit dem Hijab auseinander, erst als Verteidigerin, indem sie die Auffassung vertrat, dadurch, dass er ihre Schönheit verhülle, stehe ihr Intellekt im Vordergrund. Dann fiel ihr auf, dass die Verschleierung bereits kleine Mädchen sexualisiere. Dieser Gedanke sei ihr gekommen, als sie im Urlaub am Strand war und all die Frauen in Bikinis sah und die anwesenden Männer nicht über sie herfielen, obwohl sie ihre Körper zeigten. "Das ist ein bisschen seltsam, denn wenn ich in ein muslimisches Land fahre, werde ich von Männern terrorisiert, selbst wenn ich den Hijab trage. (…) Der Hijab funktioniert nicht." Die Idee der Reinheit der Frau kreiere eine Schamkultur. Sich zu verschleiern sei keine freie Entscheidung. Und die Tatsache, dass Frauen im Islam den Männern untergeordnet seien, könne man sich nicht zurechtbiegen. "Wenn so etwas in einem Unternehmen oder sonst wo passieren würde, (…) würde man offene Türen einrennen." Wenn man jedoch die Frauenfeindlichkeit des Islam anspreche, sei man dem Vorwurf der Islamophobie ausgesetzt. Das sei frustrierend. "Wir müssen den Menschen den Raum geben, über ihre Gedanken zu reden, (…) denn im Moment haben sie ihn nicht." Sie betreibt ebenfalls einen Youtube-Channel, auf dem sie sich neben dem Islam auch mit Make-up beschäftigt. Als Ex-Muslima bekomme sie ungefähr zehn Todesdrohungen pro Tag, ein Großteil ihrer Familie habe sich von ihr und ihrem Vater abgewandt. Und weil es so folgenschwer sei, dem Islam öffentlich den Rücken zu kehren, gebe es einen "riesigen Eisberg" von Ex-Muslimen, die es nicht wagten, es laut auszusprechen.

Wie man diese "aus dem Schrank bekommt", fragte ein Zuhörer. Es antwortete einer, der die Folgen seines doppelten Coming-Outs gerade am unmittelbarsten zu spüren bekommt: "Man heißt sie Willkommen (…), schützt sie vor Diskriminierung, kümmert sich um die persönliche Sicherheit, denn sie werden viel verlieren", so Mohamed Hisham.

"Diese wenigen Inseln der Aufklärung sind die Hoffnung für den Rest des Planeten"

Harris Sultan erzählte, er sei in seiner Jugend in Pakistan ein ganz normaler gläubiger Muslim gewesen und lebte wie andere Muslime in einer Echokammer: "Ich kannte nichts anderes". Bis er Richard Dawkins entdeckte und sich intensiv mit der Biographie Mohammeds und dem Koran beschäftigte. Mit 19 Jahren wanderte Sultan nach Australien aus. Er sei nach eigener Aussage der einzige von 220 Millionen Pakistanern, der (nicht nur) auf Youtube und Facebook offen über den Islam rede, auf Englisch und Urdu. Außerdem hat er ein Buch über seinen Glaubensabfall geschrieben und kandidierte bei den Senatswahlen des Bundesstaates Victoria für die Säkulare Partei Australiens.

Auf Facebook wurde er schon mehrfach gesperrt, was er gegenüber dem hpd als Zensur beschrieb. Dieses Problem kennen auch die anderen Teilnehmer der Konferenz, was sie als große Gefahr für die Meinungsfreiheit empfinden: Die großen Konzerne des Silicon Valley diktierten, was die Leute erfahren, auch Regierungen könnten Einfluss nehmen. Aber auf die sozialen Netzwerke könnten sie als ihre "Hauptwaffe" nicht verzichten.

"Viele Pakistaner, Iraner oder Ägypter nehmen die Werte der Aufklärung nicht an, weil sie denken, es seien westliche Werte", fuhr Harris Sultan fort. Nach dem Motto: Das sind nicht wir, wir sind besser als das. "Deshalb nenne ich sie humanistische Werte oder Werte der Aufklärung." Man solle sie nicht als regionale Werte feiern, sondern als menschliche Werte. "Denn wir Menschen haben uns hingesetzt und uns diese tollen Ideen einfallen lassen." Wir würden heute nicht mehr von den Armeen der Diktatoren fremder Länder überfallen, sondern von Ideen, die diese guten Ideen bedrohten. Auch er hielt ein Plädoyer für die freie Meinungsäußerung, die er als grundlegendstes Menschenrecht bezeichnete, das nicht nur ein Werkzeug für Intellektuelle, sondern auch eine Waffe der Armen sei. "Was ist der Wert der Redefreiheit? Fragt die, die sie nie hatten. (…) Alle diese Leute werden euch sagen, wie sie den Westen um diese Freiheit des Wortes beneiden. (…) Wenn die gleichen Menschen aus ihren Heimatländern fliehen und Zuflucht in den Ländern des Westens finden, (…) werden sie dann Rassisten und Islamophobe genannt." Die neuen West-Standards seien: Es ist freie Meinungsäußerung, wenn man Rechtsradikale für ihre Homophobie angreife, aber wenn man das gleiche mit Islamisten tue, sei es Hate Speech. Dann fing er ebenfalls mit Pauschalisierungen und der Angst vor Überfremdung an: Es gleiche einem "nationalen Selbstmord", wenn man Millionen Einwanderer importiere, die unsere Werte nicht teilten. Er sprach von fast zwei Millionen Einwanderern und einer hohen Dunkelziffer, seit die Flüchtlingskrise 2011/12 begonnen habe. Dies sei ein "künstlich herbeigeführter demographischer Wandel". Er verglich den Anteil der Eingewanderten an der Bevölkerung mit dem kleinen prozentualen Unterschied, der die Wahl zwischen Trump und Clinton entschied. Wenn die Flüchtlinge Wähler würden, würden sie unser Leben beeinflussen. Sie würden Scharia-Gerichte fordern, wie es sie bereits in Großbritannien gibt. Alle Muslime seien der Meinung, ihre Religion sei überlegen und ihre Werte seien die besseren. Nicht viele würden eine Islamisierung vorantreiben, aber sie alle würden einen konservativen Muslim wählen. "Ich will nicht, dass Deutschland aufhört, sich für Menschenrechte einzusetzen, ich fordere euch nicht auf, Menschen aus unterdrückten (…) Ländern den Rücken zuzuwenden, die eure Hilfe suchen. Aber kehrt dabei nicht eurer eigenen Demokratie und euren Werten den Rücken." Er plädierte für eine Obergrenze der Aufnahme von Flüchtlingen, die es ja bereits gibt, und dass sichergestellt werden müsse, dass sie wenigstens etwas Sympathie für unser Wertesystem hätten. Hunderttausende Islamisten könnten nach Europa strömen, während die wahren Opfer des Islam, wie Mohamed Hisham, Probleme hätten, Asyl zu erhalten. "Sollten diese Leute nicht ganz oben auf unserer Liste der humanitären Gründe stehen?" Er empfahl einen genauen Blick auf die Prioritäten. Diese sollten Wohlergehen und Bewahrung des deutschen Volkes und deutscher Werte sein, findet der Australier, und bedient damit seinerseits das ethnopluralistische Narrativ. Sein "Adoptivland", wie er es nennt, sorgte in den letzten Jahren mit einem rigorosen Kurs gegen Bootsflüchtlinge international für Aufsehen.

Über Armin Navabi, den Gründer der weltweit vernetzten Onlineplattform "Atheist Republic", gibt es bereits ein kürzlich erschienenes Porträt beim hpd. Er plädierte in der Publikumsrunde dafür, niemanden zu akzeptieren, der sich nicht zu den Werten der Aufklärung bekenne. "Ihr versteht nicht, wie einzigartig diese Orte sind, wo es diese Werte (…) gibt. (…) Menschen haben dafür geblutet und ihr gebt einfach auf. (…) Ihr denkt, ihr seid Humanisten, wenn ihr Menschen mit bescheuerten Ideen akzeptiert. Aber eigentlich seid ihr Anti-Humanisten, denn diese wenigen Inseln (…) der Aufklärung sind die Hoffnung für den Rest des Planeten". Er sei ebenfalls ein entschiedener Gegner einer islamischen Reform und führe einen "Krieg" dagegen. Ein reformierter Islam würde nur eine Lüge mit einer anderen ersetzen, findet der Exil-Kanadier. Er stelle nur eine einzige Frage: Was, wenn es keinen Gott gibt? "Dafür brauche ich nur eine kleine Saat des Zweifels", ist Navabi überzeugt, nachdem er sich in Rage geredet hat und so schnell spricht, dass man ihm kaum folgen kann. "Wenn wir den Islam bekämpfen, bekämpfen wir ihn im Kopf eines Muslims." Wenn die Menschen keinen "Logik-Filter" hätten, könnten sie irgendwo landen, aber nicht bei den Werten der Aufklärung. Die positiven Passagen im Koran halte er für die gefährlichsten, denn sie seien der Grund, warum es den Islam noch gebe; sie gäben der Religion Flexibilität. Der Islam selbst werde aber immer gegen Frauen, gegen LGBTQ-Rechte, gegen Säkularismus, gegen Menschen, gegen Wissenschaft und gegen Skeptizismus sein. "Der Islam muss sterben", schlussfolgerte der "Atheist Republic"-Gründer daraus. Das religiöse Label bringe Menschen dazu, Ausreden für die "bescheuertsten Ideen auf diesem Planeten" zu finden. Die überwiegende Mehrheit der Muslime sei deswegen friedlich, weil sie den Koran und die Hadithe nicht lesen würden und den Islam ignorierten. Auch die christliche Reformation habe keinen Fortschritt gebracht, sondern die Aufklärung, die das Christentum bekämpfte. "Was wir für den Islam wollen, ist keine Reformbewegung, wir wollen eine neue Aufklärungsbewegung in der islamischen Welt. Wir wollen keinen weiteren Martin Luther, wir wollen mehr Voltaire." Die Reformation wollte zurück zum Ursprungstext und eine solche Reformbewegung habe es im Islam schon gegeben: "Sie heißt Wahhabismus". Noch nie habe sich eine Religion oder irgendeine Form von Autorität von alleine der Moderne angepasst, sie seien immer von besseren Ideen dazu gezwungen worden. Das Narrativ der Reform sei für uns im Westen gedacht, Muslime würden eine Reform nicht ernst nehmen, denn jeder einzelne Punkt des Koran sei 1.400 Jahre lang von verschiedenen Schulen beschrieben und diskutiert worden. Die Reformer seien die, die in einer Harry-Potter-Welt die Laserschwerter zücken. Um die Aufklärung zu unterstützen, sollten wir Ex-Muslime auf der Flucht bei uns aufnehmen. "Hört auf, euch gegen den Islam zu verteidigen, greift den Islam an!"

Man kann sich fragen, inwieweit den internationalen Podiumsgästen bewusst war, auf welches Veranstaltungsformat sie sich hier eigelassen hatten. "Wir teilen nicht zwangsläufig alle Ansichten unserer Gastgeber", stellte Armin Navabi dem hpd gegenüber klar. Einige Aussagen konnten sie allerdings nicht einmal verstehen, da sie nur auf Deutsch geäußert wurden. Diese kamen in erster Linie von Kian Kermanshahi, der in der Runde auffiel. Häufig hörte man von ihm Halbwahrheiten, er argumentierte ungenau und äußerte sich oft pauschal abwertend über Muslime bis hin zu anti-humanistischen Positionen, während die anderen den Islam fast ausnahmslos als Ideologie klar von den Menschen, die ihr folgen, trennten und die Menschenrechte nicht infrage stellten.

Mittlerweile ist das Video der Veranstaltung veröffentlicht worden: https://www.youtube.com/watch?v=KMz2IUMKzt4&feature=youtu.be&fbclid=IwAR...

(Bearbeitet am 27. September 2019, 17:05 Uhr)