Kommentar

Warum die katholische Kirche den Zölibat abschaffen sollte, wenn sie überleben will

Die katholische Kirche zankt mal wieder über den Zölibat, während sich die Welt außerhalb der vatikanischen Filterblase weiterdreht. Bedenkt man, wie es zur vorgeschriebenen priesterlichen Enthaltsamkeit kam, entpuppen sich die theologischen Geschütze, die nun aufgefahren werden, als reine Nebelkerzen. Angesichts echter Probleme wie dem Missbrauchsskandal, zu dem auch der Zölibat seinen Anteil beigetragen zu haben scheint, wäre es aus Sicht des Vatikans klug, einen Schritt nach vorne zu machen. Andernfalls wird die katholische Kirche zur Freude der Ungläubigen immer weiter in der Bedeutungslosigkeit versinken.

Vergangene Woche erschien in Frankreich das Buch "Aus der Tiefe unserer Herzen" des erzkonservativen Kardinals Robert Sarah, in dem auch ein umstrittener Beitrag des zurückgetretenen Papstes Benedikt XVI. enthalten ist, worin er sich entschieden gegen die angedachte Lockerung des Zölibats ausspricht – ein Affront gegen den amtierenden Pontifex, der sich bisher noch nicht zum Beschluss der Amazonassynode, in Ausnahmefällen auch verheiratete Familienväter zu Priestern zu weihen, geäußert hatte.

Der Zölibat sei unverzichtbar, da der Priester mit der Kirche verheiratet sei, die wiederum die Braut Christi sei, so Joseph Ratzinger in besagtem Text. Kurz darauf legte dann auch Sarah noch einmal nach, wie katholisch.de berichtete: Er zitierte einen Satz aus besagtem Buchbeitrag des Ex-Papstes, ein Priester solle "Wache halten gegen die hereindrängenden Mächte des Bösen". Zwischen Zölibat und Priestertum bestehe eine "ontologisch-sakramentale Verbindung".

Es ist bemerkenswert, in welch grenzenloser Art und Weise die vorgeschriebene Ehelosigkeit katholischer Priester überhöht wird. Gar als Verteidigung gegen "die Mächte des Bösen". Dabei entstammt sie antiken Vorstellungen über die "kultische Reinheit" eines Priesters – wozu auch Keuschheit gehörte –, die man als entscheidend für den Erfolg eines religiösen Rituals ansah. Offiziell festgeschrieben wurde die Zölibats-Regelung erst im Jahr 1139, allerdings aus ganz anderen Gründen: Man wollte damit erreichen, dass Geistliche ihren Besitz und den der Kirche nicht an ihre Nachkommen vererben konnten. Gänzlich ökonomische Beweggründe also, die der Kirche von jeher nicht fremd waren: "Die Verhinderung legitimer Erben von Kirchenvermögen war Bestandteil einer historischen Gesamtstrategie, kirchlichen Besitz anzuhäufen", schrieb Gerhard Czermak dazu in einem Artikel für den hpd.

Aus der Ehelosigkeit wurde die Enthaltsamkeit, die ursprünglich nicht dezidiert Teil der Vorschrift war, aber aus katholischer Perspektive nur logisch ist, da ja Sex (offiziell) lediglich heterosexuell und zur Fortpflanzung innerhalb des heiligen Sakraments der Ehe stattfinden darf. Im Nachhinein versuchte man dann, aus der Bibel theologische Rechtfertigungen für den Zölibat abzuleiten, die bis heute immer wieder bemüht werden.

Die Ehe und das Priesteramt würden "den Mann jeweils in seiner Gesamtheit" beanspruchen, schreibt Joseph Ratzinger weiter in seinem Aufsatz. Es scheine nicht möglich "beiden Berufungen gleichzeitig nachzugehen". Komischerweise funktioniert das bei anderen Glaubensrichtungen beziehungsweise anderen Kirchen sehr wohl: In der orthodoxen Kirche genauso wie in der evangelischen. Im Gegenteil: Ein Geistlicher, der die Alltagsprobleme seiner Gläubigen aus eigener Erfahrung kennt, könnte mit lebensnahen Predigten und sinnvollen Ratschlägen während der Beichte punkten.

Wenn jedoch zölibatär lebende Männer Ratschläge für die Sexualität in der Ehe geben wollen, wirkt das mehr als unglaubwürdig. Das scheint der katholischen Kirche aber nicht aufzufallen, da sie in einem Maße um sich selbst kreist, dass sie überhaupt nicht merkt, wie unwichtig derartige theologische Spitzfindigkeiten allen Außenstehenden sind. Die überalterte Männergesellschaft des Vatikans hat längst jede Relevanz für den Alltag der Menschen verloren. Stattdessen nimmt sie lieber in Kauf, dass ihre Schäfchen im Amazonasgebiet, wo akuter Priestermangel herrscht, nicht gehütet werden und dass hierzulande ein Kirchenaustrittsrekord den nächsten jagt.

Häufiger wird in letzter Zeit auch eine Verbindung zum Missbrauchsskandal hergestellt: Die Missbrauchsstudie der Bischofskonferenz offenbarte, dass Diakone – die heiraten dürfen – deutlich seltener des Kindesmissbrauchs beschuldigt wurden als zölibatär lebende Diözesanpriester. Sollte also die Verpflichtung zur Ehelosigkeit bei gleichzeitiger Verteufelung der Homosexualität, wodurch das Ausleben einer normalen Sexualität mit erwachsenen Partnern quasi unmöglich gemacht wird, dazu führen, dass sich dieser unterdrückte Urtrieb Bahnen bricht und an den Schwächsten ausgelebt wird, die am leichtesten manipulierbar und zum Schweigen zu bringen sind?

Vielleicht fürchtet die katholische Kirche, dass nichts mehr von ihr übrig bleibt, wenn sie sich modernisiert und damit immer weiter der evangelischen annähert. Das Festhalten an der Unterschiedlichkeit – Ökumene hin oder her – dient schließlich der eigenen Existenzsicherung. Wie das Bestehen zweier Kirchen rechtfertigen, wenn die eine ihren Markenkern aufgibt, nämlich, dass alles so bleibt, wie es irgendwer mal irgendwann festgelegt hat, komme, was da wolle?

Immer wieder heißt es, die katholische Kirche solle sich ja nicht dem Zeitgeist anpassen. Dann muss sie aber auch in Kauf nehmen, wenn sie mit dieser Haltung in die Geschichte eingeht, soll heißen: ein Teil der Geschichte wird. Wer sich nicht anpasst beziehungsweise weiterentwickelt oder dies nicht kann, stirbt aus, so funktioniert die Evolution, so erging es dem Säbelzahntiger, dem Rittertum und der Schreibmaschine. Wenn die katholische Kirche nicht den Mut hat, einen Schritt nach vorn zu machen, während sich unter ihr der Abgrund der Irrelevanz auftut, wird sie hineinstürzen – sehr zur Freude der stetig wachsenden Zahl an Konfessionsfreien und Atheisten.

Unterstützen Sie uns bei Steady!