Skeptiker 1/2021 jetzt erhältlich

Fukushima: Die lange Halbwertszeit der Mythen

Es war eine Katastrophe, die die Welt erschütterte: Am 11. März 2011 ereignete sich vor der japanischen Pazifikküste das größte Erdbeben seit Beginn der historischen Aufzeichnungen und löste einen verheerenden Tsunami aus. Dabei verloren zwischen 15.000 und 20.000 Menschen das Leben. Eine halbe Million musste flüchten, viele wurden in Notunterkünften unter schwierigen Lebensbedingungen untergebracht. Posttraumatische Belastungsstörungen und eine erhöhte Suizidrate waren die Folge, hinzu kam die soziale Stigmatisierung der Evakuierten.

In Deutschland beschränkt sich die Erinnerung an die Katastrophe meist auf einen einzigen Teilaspekt, den Unfall im Kernkraftwerk Fukushima, ausgelöst durch den Tsunami. Vergessen wird dabei, dass die Todesfälle auf die Überflutung und die anschließenden Evakuierungsmaßnahmen zurückgehen. Diese Mythen geisterten auch in den letzten Tagen, anlässlich des zehnten Jahrestages von "Fukushima", wieder durch die Medien und die Poltitik.

Hier lohnt sich ein Blick in den soeben erschienenen Skeptiker 1/2021, wo Amardeo Sarma und Dr. Anna Veronika Wendland den Falschbehauptungen in einem ausführlichen Beitrag die Fakten gegenüberstellen. So belegen sie, dass der Atomunfall keine direkten Todesopfer gefordert hat. "Bis heute gibt es eine gerichtlich als Arbeitserkrankung anerkannte Krebserkrankung mit Todesfolge, die aber vermutlich nicht auf den Unfall selbst zurückgeht", schreiben sie.

Auch Befürchtungen von steigenden Krebsraten nach dem Unfall haben sich zum Glück nicht bestätigt, wie Sarma und Wendland mit Hinweis auf Daten der WHO zeigen: "Außerhalb der von der Strahlung betroffenen geografischen Gebiete, selbst in Gegenden innerhalb der Fukushima-Präfektur, bleiben die Risiken gering, und wir erwarten keine beobachtbare Erhöhung der Krebsinzidenz oberhalb der natürlichen Grundlinie."1

Das AutorInnenteam Sarma und Wendland ordnet Fukushima im Fazit "als einen schweren Industrieunfall ein, dessen tatsächliche Folgen jedoch vor dem Hintergrund der gravierenderen Zerstörungen und Opferzahlen der Naturkatastrophe verblassen. 'Fukushima' war nicht die Weltkatastrophe, für die es in Deutschland gehalten wird. Aber Tohoku war eine der schwersten nationalen Katastrophen der jüngeren Geschichte für Japan."

Ärzte und Heilpraktiker

Ein weiterer ausführlicher Beitrag im neuen Heft setzt sich mit einer Absurdität des deutschen Gesundheitswesens auseinander: Während Ärztinnen und Ärzte erst nach einer langen und anspruchsvollen Fachausbildung Kranke behandeln dürfen, sind die Hürden für Heilpraktiker wesentlich geringer. Doch das System Heilpraktiker bringt enorme Risiken für Patienten mit sich, wie nicht erst die Todesfälle in einer alternativmedizinischen Krebsklinik zeigten. Fachleute wie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach plädieren deshalb für eine Abschaffung des Heilpraktikerberufs, andere fordern eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung. Skeptiker-Autor Michael Scholz schildert, wie es zur gegenwärtigen Schieflage kam. Sein Fazit: Das Heilpraktikerwesen bedarf dringend einer Reform.

"Zynische Theorien"

So sehr sich Ayurveda, Feng Shui und die Traditionelle Chinesische Medizin auch im Detail unterscheiden, ist ihnen dennoch gemein, dass sie mit wissenschaftlich unhaltbaren Grundannahmen arbeiten. Fachleute weisen seit langem auf die Defizite und Risiken dieser Gedankengebäude hin. Müssen wir sie dennoch als gleichwertig neben der evidenzbasierten Heilkunde akzeptieren? Auf nichts anderes laufen die sogenannten "identitätsideologischen Ansätze" hinaus, die in den letzten Jahren in den Geistes- und Sozialwissenschaften zunehmend Fuß gefasst haben, so Dr. Martin Mahner in einem weiteren Beitrag des Heftes.

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Der Leiter des Zentrums für Wissenschaft und kritisches Denken der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) stellt ein aktuelles Buch zum Thema vor: "Cynical Theories", verfasst von der Literaturwissenschaftlerin Helen Pluckrose und dem Mathematiker James Lindsay. Als zynisch bezeichnen die AutoInnen die kritisierten Ansätze, weil sich ihre antiwissenschaftliche und antiaufklärerische Richtung negativ nicht nur auf die Geistes- und Sozialwissenschaften auswirkt, sondern auf die gesamte Gesellschaft. Demnach sei niemandem damit gedient, "wenn zur Lösung von Problemen oder Heilung von Krankheiten nichtwestlichen Gesellschaften wissenschaftliche Erkenntnisse vorenthalten werden; […] oder wenn man Menschenrechtsverletzungen in anderen Kulturen nicht mehr kritisieren darf", referiert Mahner, nicht zuletzt mit Blick auf die Menschenrechte von Frauen, säkular Denkenden und LGTBI-Personen in streng islamischen Ländern.

Strategien im Umgang mit dem Klimawandel

Mit dem Klimawandel greift das Heft ein weiteres aktuelles Thema auf. Nach einer aktuellen Schätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) werden wir das Zwei-Grad-Ziel des Abkommens von Paris verfehlen. DWD-Präsident Gerhard Adrian befürchtet sogar ein Plus von drei bis vier Grad über dem vorindustriellen Niveau. Doch was verbirgt sich hinter diesen abstrakten Zahlen? Wie sich ein globaler Temperaturanstieg auf die Menschheit und unseren Planeten auswirken würde, spielt der Umweltaktivist und Wissenschaftsautor Mark Lynas in seinem aktuellen Buch "6 Grad mehr" durch. Die Szenarien lesen sich teils erschreckend – etwa, wenn Lynas eine zukünftige, unbewohnbar gewordene Erde beschreibt.

Anlässlich der Buchveröffentlichung hat Amardeo Sarma den Autor interviewt. Darin wird deutlich, dass Resignation für den Umweltschützer Lynas keine Option darstellt. Nach seiner Überzeugung gibt es "keine Grenzlinien mit der Apokalypse auf der einen und dem bewohnbaren Planeten auf der anderen Seite". Ein Gespräch, das Mut macht, sich trotz aufrüttelnder Prognosen weiterhin für den Klimaschutz zu engagieren – oder besser: gerade deshalb.

Skeptiker-Magazin: "Die Entschwörer"

Web-Designerin Victoria Schrank hat eine App entwickelt, mit der man konstruktive Gespräche mit Corona-Verschwörungsgläubigen trainieren kann. Rechtsanwalt Chan-jo Jun klärt auf YouTube über die juristischen Scheinargumente der selbsternannten "Querdenker" auf und vertritt den gemeinnützigen "Goldenen Aluhut" in einem Rechtsstreit gegen den "Querdenken 711"-Initiator Michael Ballweg. Und Multikünstler Tommy Krappweis versammelt in seinen "Ferngesprächen" jeden Dienstag auf Twitch kluge Köpfe, um ihnen kluge Fragen zu stellen. Sie gehören zu den Persönlichkeiten aus verschiedenen Berufssparten, die Skeptiker-Chefreporter Bernd Harder interviewt hat, weil sie sich für Aufklärung über Corona-Verschwörungserzählungen engagieren.


1WHO: Health risk assessment from the nuclear accident after the 2011 Great East Japan Earthquake and Tsunami based on a preliminary dose estimation, 2013, ISBN 978 92 4 150513 0

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