Was die Debatte um Frauke Brosius-Gersdorf offenbart

Die Debatte um die designierte Verfassungsrichterin nimmt immer neue Wendungen, während sich der Politikbetrieb eigentlich gern in die Sommerpause zurückziehen würde. Sie zeigt den erschreckenden Zustand der öffentlichen Debattenkultur, beinhaltet aber auch überraschend positive Aspekte. Eine  kommentierende Bestandsaufnahme.

Die in Fachkreisen hoch angesehene Juristin Frauke Brosius-Gersdorf hätte auf Vorschlag der SPD zur Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt werden sollen. Eigentlich eine reine Formsache. Doch die wuchs sich zu einer gesamtgesellschaftlichen Debatte aus, in der alle mitreden wollten, auch ganz ohne inhaltliche Kenntnis. Und das hat einen Grund: Nämlich gezielte Meinungsmache von Akteuren, die das Vertrauen in Organe der Bundesrepublik untergraben wollen. Diesen fiel es leicht, Halbwahrheiten bis hin zu gezielten Falschinformationen zu streuen, da es kaum gesellschaftliche Grundkenntnis gab, mit der man den Wahrheitsgehalt von Meldungen hätte abgleichen können. Doch eine Meinung bildet sich trotzdem. Wer diese völlig frei von Argumentationen immer weiter befeuerte, ließ sich auch am X-Account des hpd ablesen: Eine rechte Trollarmee hinterließ 300 Kommentare innerhalb von drei Stunden. Inhaltlich hatten sie nichts zum Thema beizutragen, das eine Diskussion ermöglichen würde, sondern wetterten auf primitivstem Internetniveau gegen "das System". Der Strategie Steve Bannons ("Flood the zone with shit") konnte man hier im echten Leben zusehen.

Wie es zur Kampagne gegen Brosius-Gersdorf kam, und dass ein mögliches AfD-Verbotsverfahren eine eigentlich größere Rolle gespielt haben könnte als das Thema Abtreibung, hat BR24 in einem lesenswerten Artikel aufgeschrieben. Auf diese Kampagne fielen auch Kirchenvertreter und Unionspolitiker herein. Der Bamberger Erzbischof verstieg sich dazu, von einem Abgleiten in einen "Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung" zu sprechen. Doch nachdem die Richteramtskandidatin öffentlich ihre Positionen richtiggestellt und zusätzlich persönlich mit dem Geistlichen telefoniert hatte, geschah etwas Erstaunliches: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing stellte sich hinter die Juristin, die liberale Positionen zum Abtreibungsrecht vertritt (lesen Sie dazu auch diesen Artikel) und Bambergs Oberhirte Herwig Gössl räumte ein, "falsch informiert" gewesen zu sein. Da hatte der Spiegel bereits einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel: "Die Kirche sollte sich aus der Wahl von Richtern heraushalten". Somit hat Gössel durch sein Einmischen in staatliche Belange zumindest der säkularen Forderung nach einer konsequenteren Trennung von Staat und Kirche zu neuer Aktualität verholfen.

Doch die Kirchenvertreter scheinen bemerkt zu haben, in wessen Fahrwasser sie sich in ihrer blinden Verteuflung von allem, was mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch zu tun hat, begeben haben. Ihr christlich-politischer Arm scheint noch nicht so weit zu sein. Die Union verharrt in der Ablehnung der SPD-Kandidatin, was Fragen aufwirft: Stehen die C-Parteien rechten Diskursräumen näher als ihren christlichen Verbündeten von den Amtskirchen, die sich schon in der Migrationsdebatte in einer Art einmischten, die CDU/CSU missfiel? Bleiben die Schwesterparteien bei der Ablehnung, weil ihren Vertretern die Größe fehlt, einzuräumen, schlecht informiert auf Empörungsfabrikanten hereingefallen zu sein? Diese Fragen muss die Union beantworten. Was derzeit aus ihren Reihen zu hören ist, ist jedenfalls alles andere als demokratiebejahend. Markus Söder (CSU, Bayerischer Ministerpräsident) etwa findet, dass das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag für Bundesverfassungsgerichtsernennungen zu "kaum vertretbaren politischen Kompromissen und Konsensverrenkungen" führe und fordert "weniger polarisierende Kandidaten". Tatsächlich ist es so, dass Frauke Brosius-Gersdorf "gemäßigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft" vertritt, wie sie selbst anmerkte. Die Union täte gut daran, sich daran zu orientieren und nicht der AfD nach dem Mund zu reden.

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