Ein neuer Erlass, initiiert vom Kronprinzen und inoffiziellen Regenten Mohammed bin Salman, macht's möglich: Frauen im wahhabitischen Gottesstaat erhalten ein weiteres bisschen Freiheit. Gleichzeitig bleiben Frauenrechtlerinnen eingesperrt und werden möglicherweise sogar gefoltert.
Bisher brauchten saudische Frauen die Erlaubnis eines männlichen Vormunds, wenn sie das Land verlassen wollten. Gleiches galt für die Beantragung eines eigenen Passes. Dies machte Frauen die Flucht vor dem patriarchalen System und oft auch vor der eigenen Familie schwer bis unmöglich. Rana Ahmad, die mit Hilfe der Säkularen Flüchtlingshilfe in Deutschland ein Leben in Freiheit beginnen konnte, erlebte dies am eigenen Leib: Sie hatte zwar einen Pass, weil sie regelmäßig mit ihrer Familie ihre Verwandten in Syrien besuchte, das Flugticket musste ihr aber ein Freund buchen, den sie im Internet kennengelernt hatte und auf dessen Loyalität sie hoffen musste. Er verriet sie nicht, ihr gelang die Flucht, wie sie später in ihrer beklemmenden Biografie schilderte.
Andere Frauen hatten jedoch weniger Glück: Viele wurden auf Transitflughäfen abgefangen und zurück in ihr Heimatland gebracht. Einer dieser Fälle ging Anfang des Jahres allerdings erfreulicher aus: Die 18-jährige Rahaf Mohammed al-Qunun wurde in Bangkok von den Behörden aufgehalten, machte ihren Fall aber über die sozialen Netzwerke öffentlich und löste damit einen so lauten Hilferuf aus, dass er sogar von den Vereinten Nationen gehört wurde. Es hagelte internationale Kritik, die womöglich auch zur jetzigen Entscheidung beigetragen hat: Das neue Gesetz, das von König Salman und seinem Kabinett verabschiedet wurde, erlaubt es allen Bürgern über 21 Jahren frei zu reisen – ohne Unterscheidung des Geschlechts.
Darüber hinaus dürfen Frauen jetzt selbst melden, wenn sie ein Kind geboren haben sowie Eheschließung oder Scheidung eintragen lassen. Auch gibt es nun ein Diskriminierungsverbot auf dem Arbeitsmarkt, berichtet der Tagesspiegel. Was allerdings bleibt, ist die Regelung, dass Frauen nur mit Zustimmung eines männlichen Vormunds aus dem Gefängnis entlassen werden können. Ob sie heiraten oder allein leben wollen, dürfen Frauen ebenfalls nicht selbst entscheiden.
Nachdem das islamische Königreich im vergangenen Jahr als letztes Land der Erde auch Frauen das Autofahren erlaubt hatte, folgte nun die nächste Reform, die wohl erneut die Handschrift des heimlichen Herrschers Mohammed bin Salman trägt. Er will Saudi-Arabien moderner machen, was ihm vor allem bei den vielen jungen Bürgern seines Landes Pluspunkte einbringt. Aber: Die langsame Aufweichung des Patriarchats muss von oben kommen, zivilgesellschaftlichen Druck duldet der Kronprinz nicht, der im Verdacht steht, mit dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi in Verbindung zu stehen. Kurz vor Bekanntwerden der weiblichen Fahrerlaubnis wurden Frauenrechtlerinnen, die genau dafür gekämpft hatten, festgenommen. Sie sind nach wie vor hinter Gittern und wurden ihren Aussagen nach auch gefoltert.
2 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Dieser kleine Lichtblick wird vollkommen von der großen Dunkelheit des Landes überschattet.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, dass die Wahhabiten irgendwann zum Deibel gejagt werden.
Andrea Pirstinger am Permanenter Link
... und nicht nur die "Wahabiten", werter Hans.