Der Zungenkuss des Dalai Lama

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Der Dalai Lama
Dalai Lama

Momentan ist der Dalai Lama wieder in aller Munde – besser gesagt: Was in seinem Munde war, wird derzeit in vielen Medien weltweit diskutiert. Colin Goldner ist als Kritiker des Oberhauptes der tibetischen Buddhisten bekannt und kommentiert die aktuelle Verfehlung des Dalai Lama für den hpd.

Dass das Oberhaupt der tibetischen Gelbmützenbuddhisten, bekannt als 14. Dalai Lama, nicht alle "Tassen im Schrank" hat, um es freundlich auszudrücken, weiß wohl jeder, der ihn einmal live erlebt hat. Nicht nur, dass er fortlaufend von blutrünstigen Teufeln, Hexen und Dämonen daherspinnt und von furchtbarsten Höllenqualen, die auf all jene warteten, die sich ihm und der Diktatur seiner Mönchskoterie widersetzten; auch hält er sich für befähigt, frei durch die Luft zu fliegen und andere allein durch die Kraft seiner Gedanken zu töten. Als aktueller "Gottkönig" Tibets sei er nicht nur die Wiedergeburt seiner dreizehn Amtsvorgänger – Dalai Lamas gibt es seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert –, sondern die leibhaftige Inkarnation Chenrezigs, einer elfköpfigen und tausendarmigen Gottheit, die in grauer Vorzeit das Volk der Tibeter gezeugt habe. Zwei Warzen unterhalb seiner Schulterblätter stellten unzweifelhaft eine Art rudimentärer Überbleibsel der zusätzlichen neunhundertachtundneunzig Arme Chenrezigs dar. Erst im Jahre 2077, im gesegneten Alter von 142, werde er für diesmal von der weltlichen Bühne abtreten. Zuverlässig aber werde er als 15. Dalai Lama wiederkommen, entweder sofort oder erst später, wenn er gebraucht würde. In jedem Falle aber werde er in vierhundert Jahren bereitstehen: dann nämlich sei die "große Schlacht von Shambhala" angesagt, der totale Krieg der Welten – vielleicht sogar auf anderen Planeten und unter Beteiligung außerirdischer Mächte –, und er, er werde als oberster Feldherr dabeisein.

In der Tat übertrifft das Absurditätenkabinett des Dalai Lama alles, was man von Religionsbegründern und -führern so kennt. Wäre er nicht der Dalai Lama und damit Oberhaupt einer "anerkannten Religionsgemeinschaft" (zumindest in Österreich!), säße er längst in der geschlossenen Psychiatrie. Und zwar in der forensischen. Allein schon der sexualmagischen Merkwürdigkeiten wegen (freundlich ausgedrückt!), die den Wesenskern des von ihm vertretenen Vajrayana-Buddhismus ausmachen. Wörtlich übersetzt bedeutet Vajrayana schlicht "Weg des Phallus". Wie der Name mehr als nur andeutet, geht es um spirituell verkleisterten Sex als "Weg zur Erleuchtung". Zu beschreiten allerdings nur für hochrangige Gelbmützenträger, wie er selbst einer ist. Frauen (oder Kinder) dienen nur als Mittel zum Zweck.

Seit Längerem schon hat man nun nichts mehr von "Seiner Heiligkeit" gehört, der Hype, der ihn seit den 1990er Jahren bei seinen zahllosen Auslandsreisen umgab – auch hierzulande sonnten sich Politiker und Kulturschaffende jeder Couleur in seinem Glanz –, ist längst verblasst. Nicht zuletzt aufgeflogener sexueller Übergriffe in seinem direkten Umfeld wegen.

"Suck my tongue"

Neuerdings aber ist er wieder in aller Munde. Ein kürzlich aufgenommenes Video von einer Audienz für Kinder und Jugendliche in seinem (Exil-)Regierungssitz im nordindischen McLeodganj (Himachal Pradesh) ging in den Sozialen Medien durch die Decke; allein auf Twitter wurde es millionenfach angeklickt: Zu sehen ist ein etwa 8- oder 9-jähriger indischer Junge, der vom Dalai Lama auf die Bühne geholt und vor laufenden Kameras auf den Mund geküsst wird. Anschließend streckt der Dalai Lama dem Jungen seine Zunge ins Gesicht und fordert ihn auf, daran zu lutschen ("Suck my tongue"). Begleitet ist die Szene vom Gelächter der Entourage des tibetischen Gottkönigs.

Screenshot Twitter
Screenshot: Twitter

Der Videoclip löste weltweit scharfe Kritik aus, in den Sozialen Netzwerken bezeichneten viele das Verhalten des Dalai Lama als "widerlich", "abstoßend" oder "absolut krank", er selbst wurde mit wenig schmeichelhaften Begriffen wie "perverser Schleimkübel" (scumbucket) oder "pädokrimineller Drecksack" (sleazebag) überzogen. Vor dem Hintergrund des in rasender Geschwindigkeit sich auftürmenden Shit-Tsunamis, der über "Seine Heiligkeit" hereinbrach, ließ dieser eiligst und via Twitter mitteilen, er bedauere den Vorfall: "Seine Heiligkeit möchte sich bei dem Jungen und seiner Familie wie auch bei seinen vielen Freunden rund um die Welt für den Schmerz entschuldigen, den seine Worte verursacht haben könnten." Weiter hieß es in dem Tweet: "Seine Heiligkeit neckt oft Leute, die er trifft, auf eine unschuldige und verspielte Art, sogar in der Öffentlichkeit und vor Kameras". ("His Holiness often teases people he meets in an innocent and playful way…")

Derlei "Entschuldigung" sei allerdings nicht ausreichend, sagen Missbrauchsbetroffene weltweit. Die US-Hilfsorganisation Survivors Network of those Abused by Priests (SNAP) etwa teilte mit, es sei "zutiefst verstörend" zu sehen, wie ein 87-jähriger Mann von einem kleinen Jungen verlangt, öffentlich solch "offensichtlich sexuellen Akt" auszuführen. (SNAP ist die älteste Unterstützungsgruppe für Menschen, die im religiösen Kontext missbraucht wurden; sie wurde 1989 in den USA von Opfern katholischer Priester gegründet). Weiter heißt es in der Stellungnahme von SNAP: "Dieser Vorfall ist eine weitere eindringliche Mahnung, wie mächtige Männer ihre Machtpositionen dazu nutzen können, sich selbst Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen: ein Verhaltensmuster, wie es nur allzu häufig zu finden ist in Fällen sexuellen Missbrauchs durch Angehörige der Geistlichkeit (clergy)."

Auch die Betroffenenorganisation Eckiger Tisch kritisiert den Dalai Lama heftig, der "eindeutig eine Grenze überschritten" habe. "Man stelle sich vor, das hätte ein Bischof auf öffentlicher Bühne gemacht". Oder der Papst.

Halbgare Distanzierung buddhistischer Funktionäre und Würdenträger

Der Berliner Michael Jäckel (56), unter dem Mönchsnamen "Tenzin Peljor" einer der hiesigen Statthalter des Dalai Lama und als solcher Ratsmitglied in der Deutschen Buddhistischen Union (DBU), teilte auf Nachfrage mit, er habe beim Ansehen des Videos "ein Gefühl von Peinlichkeit" verspürt. Allerdings müsse man wissen, dass der Dalai Lama "eine sehr kindliche, spielerische Art" habe, es sei "diese Art von Nähe, das Aufziehen des Gegenübers für ihn normal". Gleichwohl, so Jäckel, sei die Wortwahl des Dalai Lama ("Suck my tongue") "völlig daneben" gewesen, denn: man müsse "unterscheiden zwischen Absicht und Wirkung". Eine Person, auch wenn sie eine unschuldige Absicht habe, müsse Verantwortung für die Wirkung ihrer Handlung übernehmen. Im Übrigen sei der Dalai Lama "nicht dafür bekannt, pädophile Tendenzen zu haben". Also: alles halb so schlimm. Vermutlich, wie an anderer Stelle im Netz zu lesen steht, sei das Ganze ohnehin nur von "den Chinesen" aufgebauscht worden, um "Seine Heiligkeit" zu diskreditieren und mit Dreck bewerfen zu können.

Des Weiteren verweist die DBU auf eine Stellungnahme vom 13. September 2022 zu einer kurz davor in der ARD ausgestrahlten Dokumentation über (sexuellen) Missbrauch in buddhistischen Gemeinschaften: "Der Vorstand und der Rat der Deutschen Buddhistischen Union drücken allen Opfern sexualisierter Gewalt ihr tiefes Mitgefühl aus", schrieb die DBU seinerzeit. Bedauerlicherweise habe es "sexualisierte Gewalt in buddhistischen Gemeinschaften gegeben und diese wurden teils jahrzehntelang gedeckt. Man selbst habe davon nichts gewusst, vielmehr lehne man "jede Art von Missbrauch ab, ob durch Sexualität, Geld oder Macht. Strukturen und Praktiken, die das ermöglichen, sind in keiner Weise vereinbar mit den Grundsätzen der buddhistischen Ethik." Man habe insofern für die Mitgliedsorganisationen der DBU eine "freiwillige ethische Selbsterklärung" verfasst (der bis heute nicht alle beigetreten sind) und "Vertrauenspersonen für Missbrauchsopfer" ernannt (darunter Tenzin Peljor als Leiter einer eigens einberufenen "Arbeitsgemeinschaft Ethik der DBU").

Eine ernstzunehmende Kritik der DBU am (sexualisiert-übergriffigen) Verhalten des Dalai Lama gab und gibt es erwartbarerweise nicht.

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