Bereits in der Debatte um die Beschneidung vor dem 12. Dezember 2012 hat sich der Jurist Prof. Dr. Rolf Dietrich Herzberg gegen das Gesetz ausgesprochen. Unter anderem mit seinem viel beachteten Aufsatz: "Religionsfreiheit und Kindeswohl – Wann ist die Körperverletzung durch Zirkumzision gerechtfertigt?" mischte er sich in die Diskussion ein. Der hpd veröffentlicht seinen aktuellen Offenen Brief an die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch.
Sehr geehrte Frau Knobloch!
In der ZEIT vom 21. November 2019 antworten Sie auf Fragen, die Britta Stuff Ihnen stellt. Ich habe das Interview mit besonderem Interesse gelesen, weil meine Beziehung zum Judentum eine besondere und sehr persönliche ist. Das erklärt sich aus einer alten Freundschaft. Sie verband meine Frau und mich mit einem Ehepaar, das sich, bei säkularer Grundhaltung, zum Judentum und manchen seiner Traditionen bekennt. Diese Freundschaft ist, trotz beiderseitigem Bemühen, sie zu retten, am Ende zerbrochen. Der Grund ist meine öffentlich bekundete Überzeugung in einem religiös-ethisch-rechtlichen Streit, der auch uns beide – vielleicht erinnern Sie sich – gegeneinander aufgebracht hat (vgl. Matthias Franz, Die Beschneidung von Jungen, 2014, S. 269).
Jetzt nutzen Sie die Gelegenheit, Ihre Einstellung zur rechtlichen Seite der Beschneidungsproblematik wenigstens anzudeuten. Die Gelegenheit bot Ihnen die humoristische Frage nach dem Gesetz, das Sie mal gebrochen haben. Sie antworten: "Das Gesetz stand nur im Raum, aber wenn, hätte ich mich darüber hinweggesetzt: das Beschneidungsverbot."
Das Verständnis dieses weiten Begriffs verengt sich für die meisten auf das rechtliche Verbot, Kinder ohne deren Einwilligung und ohne medizinische Notwendigkeit durch Abschneiden, Einschneiden oder Durchbohren eine Verletzung am äußeren Geschlechtsorgan zuzufügen. Aber dieses Verbot stand nicht nur im Raum, es war und ist geltendes Recht! Denn Körperverletzungen sind mindestens nach § 223 StGB verboten und strafbar, und das Verbot umfasst selbstverständlich auch Genitalverletzungen. Denken Sie etwa an das Wegschneiden eines Teils der Schamlippen, der Klitoris oder Klitorisvorhaut! Es gibt maßvolle Verletzungen des weiblichen Geschlechtsorgans, die die Gesundheit und das Sexualleben weniger als das Abschneiden der Vorhaut beeinträchtigen. Aber der Gesetzgeber hat sie mit dem neuen § 226a StGB als "Verstümmelung weiblicher Genitalien" sogar zum Verbrechen erklärt ("Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr"). Ein geltendes und besonders deutliches Beschneidungsverbot!
Nun ist mir klar, dass Sie Genitalbeschneidungen, deren Opfer Frauen oder kleine Mädchen sind, genau wie der Gesetzgeber missbilligen und sich über ihr Verbot niemals hinwegsetzen würden. Mit "Beschneidung", die Sie für unverboten halten und deren gesetzliches Verbot Sie nur drohend "im Raum stehen" sahen, meinen Sie wohl allein die rituelle Zirkumzision, die männlichen Säuglingen und Kindern angetan wird.
Ein typisches Beispiel ist der Kölner Fall, den ich hier in Erinnerung rufen will. In Matthias Franz' Sammelband "Die Beschneidung von Jungen" schildert Holm Putzke ihn auf S. 330 f. wie folgt: "Im November 2010 hatte ein in Köln niedergelassener Arzt, Facharzt für Chirurgie und nach eigenen Angaben gläubiger Muslim, mit Einwilligung der ebenfalls muslimischen Eltern eine medizinisch nicht notwendige Beschneidung an einem vierjährigen Jungen durchgeführt, wobei der Eingriff unter örtlicher Betäubung und aus religiösen Gründen stattfand. Obwohl der Arzt – laut eines Sachverständigen – den operativen Eingriff lege artis vorgenommen hatte, kam es zwei Tage danach zu Blutungen … Die Mutter brachte den Jungen in die Kindernotaufnahme der Universitätsklinik Köln, wo ihn ein Urologe unter Vollnarkose operierte und die Blutungen gestillt werden konnten". Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Der Arzt wurde jedoch zweimal freigesprochen, sowohl vom Amts- wie vom Landgericht Köln, allerdings mit sehr verschiedener Begründung.
Ich verstehe Sie nun so: Vorgenommen unter bestimmten Voraussetzungen, war auch die medizinisch unnötige Beschneidung männlicher Kinder stets erlaubt. Der Kölner Fall hat jedoch eine Debatte befeuert, die ein gesetzliches Verbot befürchten ließ. Zum Glück ist es nicht zustande gekommen. "Dieses Verbot hätte ich missachtet und mich darüber hinweggesetzt." – Ich räume ein: Ihre Annahme, dass die Beschneidung des Vierjährigen unter den gegebenen Umständen unverboten war, ist diskutabel. Sie lag dem Urteil des Amtsgerichts Köln zugrunde. Der Richter hatte in erster Instanz für Recht erkannt, dass der Arzt bei Begehung seiner tatbestandsmäßigen Körperverletzung gerechtfertigt war. Das war aber eine problematische und fragwürdige Beurteilung. Das Landgericht hat nur den Freispruch, nicht die Begründung bestätigt. Im Einklang mit den meisten einschlägigen Publikationen, die damals schon vorlagen, hat die Kammer trotz allem, was man zugunsten des Arztes ins Feld führen konnte (lege artis, elterliche Einwilligung, religiöser Sinn) die Beschneidung als eine rechtswidrige Körperverletzung bewertet. Freizusprechen sei der Täter nur mangels Schuld, das heißt wegen eines "unvermeidbaren Verbotsirrtums" (§ 17 Satz 1 StGB: "Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte"). Das Landgericht berief sich damals vor allem auf die Ausführungen Holm Putzkes, der seinen Standpunkt später in Kurzform so begründet hat: Es handelt sich "bei einer medizinisch nicht nötigen Beschneidung eines nicht einwilligungs-fähigen Jungen um eine Körperverletzung … Denn dem Kind wird ein erogener Teil seines Körpers irreversibel amputiert, was nachweislich zu einem Sensibilitätsverlust führt. Dabei erleidet es Schmerzen, was zu Traumata führen kann, und es wird einem beachtlichen Operations- und Komplikationsrisiko ausgesetzt. Dieser Eingriff ist auch nicht gerechtfertigt –weder durch das Erziehungsrecht der Eltern noch durch deren Religionsausübung" (Putzke, in: Matthias Franz, Die Beschneidung von Jungen, S. 325).
Offen lässt Putzke an dieser Stelle die Frage, welche Bedeutung für ihn der sogenannte Beschneidungsparagraph hat. Begründet er die Rechtfertigung? Ende 2012 "in Kraft getreten", bestimmt § 1631d BGB im ersten Satz: "Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll".
Die Vorschrift erhebt den Anspruch, die Eltern und den Arzt grundsätzlich zu rechtfertigen, wenn sie, aus welchen Motiven auch immer, eine medizinisch unnötige, aber kunstgerechte Abtrennung der Vorhaut vom kindlichen Penis veranlassen und durchführen. Der gegenwärtige Streit betrifft nun die Frage, ob eine solche ("medizinisch nicht erforderliche"!) Körperverletzung als rechtmäßig bewertet werden kann oder ob diese Bewertung und damit auch § 1631d BGB mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Die Antwort "unvereinbar", die ich in etlichen Publikationen schon gegeben habe, soll diesmal nicht das letzte Wort sein. Aber zunächst: Mir erscheinen die Argumente, die die Beschneidungserlaubnis des § 1631d BGB für unvereinbar mit dem Grundgesetz befinden, so stark und überzeugend, dass der unvoreingenommen Urteilende sie als entscheidend anerkennen muss. "Die unparteiische Betrachtung der Verfassungslage ergibt die Verfassungswidrigkeit des § 1631d BGB", behauptet nach umfassender Begründung, auf die ich mich beziehe, Jörg Scheinfeld in seinem Aufsatz "Die Knabenbeschneidung im Lichte des Grundgesetzes" (Franz, Die Beschneidung von Jungen, S. 358 ff., 391).
Aber das Nachdenken kann mit dieser Feststellung nicht enden. Man hat mir entgegengehalten: Es mag zutreffen, dass auch eine von § 1631d gedeckte Beschneidung Grund- und Menschenrechte des Kindes missachtet und darum eine rechtswidrige Körperverletzung ist. Doch die Rechtswidrigkeit eines Tuns anerkennen, weil das geltende Recht sie ergibt, heißt noch nicht, dieses Recht richtig finden und sich ihm unterwerfen. Das ist die Grundlage Ihrer knappen Antwort, und so muss man Sie verstehen: Es interessiert mich letztlich nicht, ob ihr Juristen aus den Gesetzen, und sei es auch aus dem Grundgesetz, ein Verbot der medizinisch unnötigen Jungenbeschneidung ableitet; selbst wenn ihr damit Recht hättet, würde mir mein Gewissen erlauben, das Verbot zu missachten, weil es, ethisch betrachtet, ein falsches Verbot ist.
Der anfangs erwähnte jüdische Freund hat mir in einem frühen Streitgespräch vor Augen gehalten, wie zutiefst bedenklich es doch sei, wenn man die deutsche Rechtsordnung so verstehe, dass sie den Juden die Brit Mila (die Jungenbeschneidung nach jüdisch-religiösem Brauch) verbietet. Er räume ja ein, dass es starke Gründe gebe, sich davon zu verabschieden, vielleicht durch Rückzug auf eine symbolische Berührung von Messer und Vorhaut. Aber den Verzicht müssten die Eltern aus Einsicht und freier Entscheidung leisten. Ihnen in Deutschland die Beschneidung zu verbieten und sie wegen der Verletzung des Kindes sogar zu bestrafen, sei nach allem, was Deutsche den Juden angetan hätten, eine unerträgliche Anmaßung und Demütigung. Sie, Frau Knobloch, sehen es ähnlich. Menschen, die die fragliche Rechtswidrigkeit bejahen, sind für Sie "geistige Brandstifter, die gegen Juden giften", ohne "Empathie und Sensibilität". Andere Vertreter des Judentums sahen in der sachlichen Beurteilung der Rechtslage "den schwersten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust" und stellten die Behauptung auf, bei einem Beschneidungsverbot sei "jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich".
Mir fällt an solchen Äußerungen etwas auf, was bisher kaum beachtet und schon gar nicht hervorgehoben wurde: Die Empörung über ein etwaiges Beschneidungsverbot ist eng begrenzt. Anscheinend hält man das Verbot im Grundsatz für richtig und für falsch nur dann, wenn die Beschneidung die religiöse Weihe der Brit Mila hat und auf der jahrtausendealten Tradition des Judentums beruht. Zum Beispiel die Mädchenbeschneidung! Auch sie hat meist einen kultisch-religiösen Sinn und gilt den schafi'itischen Muslimen geradezu als religiöse Pflicht. Der Zirkumzision entsprechend lassen schafi'itische Eltern auch ihren Töchtern eine Vorhaut abtrennen – die der Klitoris. Die eine Beschneidung zu erlauben und die andere als ein Verbrechen zu verbieten benachteiligt die Jungen im gesetzlichen Schutz und ist ein eklatanter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG). Ausgehend von der Gültigkeit (Verfassungskonformität) des § 1631d BGB fordern deshalb manche, dass in den Grenzen dieser Bestimmung auch Mädchen mit lebenslanger Folge am Genital verletzt werden dürfen, wenn die körperlich-seelischen Auswirkungen voraussichtlich nicht schwerer wiegen als die der Zirkumzision bei Jungen. Sie, Frau Knobloch, würden diese Forderung wohl kaum unterstützen und lieber die Ungleichbehandlung in Kauf nehmen, das heißt festhalten an der umfassenden Strafbarkeit der "Verstümmelung weiblicher Genitalien" (§ 226a StGB).
Ja, ich vermute, dass Sie mit mir gemeinsam auch manche Beschneidung missbilligen würden, die § 1631d BGB sogar legitimiert. Stellen Sie sich vor, ein katholisch-strenggläubiger Arzt mit antiquierter Sexualmoral schneidet seinem Vierjährigen lege artis die Vorhaut ab, um das Masturbieren zu verhindern und so sein Kind vor schwerer Sünde und göttlicher Strafe zu bewahren. Ein religiöser Grund und, wenn man so will, ein erzieherisches Anliegen. Der Arzt mag seine "Religionsausübung" (Art. 4 Abs. 2 GG), die "Pflege und Erziehung" sowie das "Wohl des Kindes" (Art. 6 Abs. 2 GG, § 1627 BGB) zur Rechtfertigung anführen und besonders auf § 1631d BGB pochen, der ihm sein Tun ja ausdrücklich erlaube. Aber Sie werden mir zustimmen, dass es ein schändliches Tun wäre, medizinisch sinnlos und eine blutige Körperverletzung bar jeder rationalen Begründung und Motivation. Ein solcher Angriff auf die Grundrechte des Kindes, auf seine Würde, Persönlichkeit und Körperintegrität ist zumindest moralisch verboten, und nie und nimmer würden Sie sich darüber hinwegsetzen, etwa indem Sie dem Arzt letzte Hemmungen ausreden oder ihm auf seine Bitte assistierend zur Hand gehen.
Was die klassisch-muslimische Jungenbeschneidung betrifft, so bildet der Kölner Fall ja bekanntlich den Ausgangspunkt der Empörung und der Debatte. Der Aussage des Landgerichts, dass der Arzt zwar schuldlos, aber rechtswidrig gehandelt habe, wurde von jüdischer Seite lauter und entschiedener widersprochen, als muslimische Stimmen es taten. Und es ist wahr, die Begründung des Landgerichts hat auch über die Brit Mila den Stab gebrochen. Daraus ergab sich eine Solidarität, die über Unterschiede hinwegsehen ließ. Denn es ist ja ein großer Unterschied, ob der religiöse Mensch einen Akt als ihm von Gott befohlen und als seine heilige Pflicht betrachtet oder nur als eine prophetische Empfehlung, die man schon aus schwachen Gründen missachten darf. Vor allem muss man bedenken, dass das Opfer der Beschneidung hier ein erkenntnisloser Säugling ist und dort ein wissendes Kind, das Angst hat und sich oft verzweifelt wehrt. Darauf angesprochen, gab denn auch im erwähnten Streitgespräch mein jüdischer Freund die muslimische Beschneidung, wenn ältere Kinder sie erleiden müssen, sogleich preis. Er hatte nichts dagegen, sie schon nach geltendem Recht als Unrecht zu bewerten (das Kölner Urteil war damals noch nicht in der Welt). Diese isolierende Betrachtung der Brit Mila macht mir bewusst, dass viele jüdisch-religiöse Menschen eine ganz besondere Bitternis empfanden, als das Landgericht mit dem muslimischen zugleich den biblischen Akt für rechtswidrig befand. Es wurde ein Ritus zum Unrecht gestempelt, den nach jüdischer Lehre der liebe Gott höchstpersönlich zur Pflicht gemacht hat, mit dem Sinn, dass zwischen ihm und dem Kind ein Bund gestiftet werde. Welch eine Zumutung, den nicht mehr stiften zu dürfen! Der Berliner Rabbiner Yitzhak Ehrenberg verkündete öffentlich seine Wahrheit, dass die Versagung des Gottesbundes sogar schlimmer sei als die "physische Vernichtung" des Kindes.
Ich habe bisher einseitig die Leiden des kindlichen Opfers und die handfesten Grundrechteverletzungen herausgestellt, die die Beschneidung ihm zufügt. Mir ist aber klar geworden, dass auch das Verbot und das Verhindern der Beschneidung Leid schafft, wenn auch kein von Grundgesetzartikeln und strafrechtlichen Verboten bekämpftes Leid. Gleichwohl vermute ich, dass im zu erwartenden Fall einer Prüfung des § 1631d BGB das Bundesverfassungsgericht abwägende Überlegungen anstellen und auch dem Gesichtspunkt der politischen Opportunität Raum geben wird. Das liefe hinaus auf eine zutiefst fragwürdige Einschränkung der Grundrechte männlicher Kinder. Ich würde das Urteil, § 1631 BGB sei vollen Umfangs oder weitgehend verfassungsgemäß, für sachlich falsch halten. Aber wie immer das höchste Gericht die Vereinbarkeitsfrage entschiede, es wäre die Entscheidung verantwortungsbewusster Richter in einem Rechtsstaat, und sie hätte "Gesetzeskraft" (§ 31 Abs. 2 Gesetz über das Bundesverfassungsgericht). Die dann geschaffene (neue) Rechtslage – mit ihren Verboten und Gestattungen – würde ich (anders als den ungeprüften § 1631d BGB) achten und mich nicht "darüber hinwegsetzen". Könnte das nicht, sehr geehrte Frau Knobloch, ein Standpunkt sein, der uns verbindet?
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Rolf Dietrich Herzberg
29 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Lieber Herr Prof. Dr. Herzberg,
vielen Dank für die klare juristische Einordnung des 1631d BGB. Sie haben sich viel Mühe gemacht, um dieses kitzlige Thema so ausgewogen wie möglich darzustellen. Sie enden mit einer Frage: "Könnte das nicht, sehr geehrte Frau Knobloch, ein Standpunkt sein, der uns verbindet?" Frau Knobloch wird ihren zementierten Standpunkt sicher nicht mehr ändern, zu viel Zweckloses und Furchtbares habe ich von ihr zum Thema lesen müssen und gehört.
Aber ist eine solch penible juristische Vorarbeit (auch die von Prof. Holm Putzke) überhaupt nötig? Müssen wirklich Juristen darüber debattieren, ob man einem Baby fürchterlichste Schmerzen zufügen, es für den Rest seines Lebens verstümmeln (ja, so sehen das viele Opfer der Vorhautamputation) darf oder eher nicht?
Meine Spiegelneuronen hatten einen schmerzhaften Veitstanz aufgeführt, als ich mir 2012 viele Videos auch jüdischer Genitalverstümmelungen (ich weigere mich, den Euphemismus "Beschneidung" zu verwenden, weil er die Opfer ein zweites Mal erniedrigt) anschaute. Nicht auszuhalten, Schmerzen am ganzen Körper, Tränen ohne Ende - bei mir.
Wäre nicht ein Appell an die Menschlichkeit, an die von Frau Knobloch für so wichtig erachtete "Empathie und Sensibilität" vollkommen ausreichend, Kinder jeglichen Geschlechts und jeglichen Alters vor Unheil zu beschützen? Am besten getragen von Einsichtsfähigkeit aus sich selbst heraus. Oder blockieren religiöse Dogmen das Handeln der religiös Dogmatisierten wirklich derart vollständig, dass sie das Leid der Kinder nicht mehr wahrnehmen, nicht mehr hören, nicht mehr sehen?
Welchen Ausweg gibt es hier? Denn abfinden mag ich mich mit dieser untragbaren Situation auch nicht. Die Generation meiner Großeltern hat Juden furchtbares Leid zugefügt. Ich habe mir vorgenommen, das Leid jüdischer Mitmenschen zu lindern - und sei es das Leid deren Kinder...
Ulf Dunkel am Permanenter Link
Lieber Rolf Herzberg,
vielen Dank für diesen Offenen Brief, den ich sehr begrüße. Mir sind zwei Punkte aufgefallen:
Zum einen sprechen Sie ganz am Ende von der Verfassungsgemäßheit des § 1631 BGB. Vermutlich meinen Sie hier nicht den ganzen §, sondern konkret den § 1631d BGB, den "Sündenfall des Rechtsstaats" (Reinhard Merkel).
Zum anderen sprechen Sie über einen Eingriff "lege artis" im Zusammenhang mit der medizinisch nicht indizierten Genitalverstümmelung an nicht einwilligungsfähigen minderjährigen Jungen. Die gesetzliche Forderung nach einer Handlungsweise des Arztes "lege artis" besteht m.E. nicht, sondern nur die Forderung nach einer Absichtserklärung, "lege artis" handeln zu wollen, was eine Finte im Gesetzestext des § 1631d BGB darstellt. Der Gesetzestext suggeriert, die Handlung des Arztes müsse lege artis erfolgen (wie es im ursprünglichen Gesetzestext-Entwurf ja auch verlangt wurde). Es stimmt aber eben nicht, dass dieses Gesetz ohne jegliche Änderung in Rekordzeit verabschiedet wurde, sondern die einzige Änderung war, dass die Handlung des Arztes nicht lege artis erfolgen MUSS, sondern nur lege artis erfolgen SOLL.
Ärztlichem Handeln liegt aber auch der ärztliche Grundsatz "primum non nocere" ("erstens nicht schaden") zugrunde. Daher KANN die medizinisch nicht indizierte Genitalverstümmelung an nicht einwilligungsfähigen minderjährigen Jungen gar nicht lege artis sein. Somit hätte das Amtsgericht Köln im Fall von 2010 schon an diesem Punkt falsch geurteilt. Denn ein Arzt wird nach diesem Grundsatz einem minderjährigen Menschen niemals ohne irgendeine medizinische Indikation gesundes Gewebe irreversibel abschneiden.
So gesehen führt das Beschneidungsungesetz sich glücklicherweise schon im Text selbst ad absurdum, weil eine solche medizinisch nicht indizierte Genitalverstümmelung niemals lege artis sein kann, selbst wenn eine entsprechende Absichtserklärung des Arztes vorliegt.
Edward von Roy am Permanenter Link
Noch die geringst invasive Form der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) muss verboten werden, weltweit, also auch FGM Typ Ia oder Typ IV.
Eine Legalisierung beispielsweise der sogenannten milden Sunna (FGM Typ Ia oder IV nach der Klassifikation der WHO) ist zu verhindern.
Erstmals in der Geschichte der USA begann im April 2017 ein Strafprozess nach 18 USC 116 (female genital mutilation, FGM). In Detroit, Michigan, waren Dr. Nagarwala sowie die Eheleute Attar angezeigt worden, drei Angehörige der schiitischen Dawudi Bohra, denen FGM religiöse Pflicht ist (https://tinyurl.com/y7wearfe).
Islam der Sunniten. Im islamischen Recht der Schafiiten gilt die männliche wie weibliche Beschneidung als wâdschib (farD), religiös verpflichtend. Die anderen sunnitischen Rechtsschulen bejahen die weibliche Beschneidung, den Malikiten gilt sie als sunna (unbedingt nachzuahmen), Hanafiten wie vielen Hanbaliten als makrumâ (ehrenwert), die übrigen Hanbaliten bewerten sie als religiöse Pflicht (https://tinyurl.com/yamu9kvt).
Bekennen wir uns zum Beibehalten der WHO-Kategorisierung weiblicher Genitalverstümmelung, welche FGM definiert als Typ I, II, III, IV. Kämpfen wir gegen die Straffreistellung der Chatna (chitan al-inath, sunat perempuan), auch der milden Sunna. Jede Form von FGM (I, II, III, IV) gehört verboten – überall auf der Welt.
Die angeblich vor FGM (d. i. FGM Typ I, II, III, IV) schützende, überall seltsam hastig gelobte Istanbul Convention ist kein Schutz vor FGM (d. i. FGM Typ I, II, III, IV), vgl. dort Artikel 38 Verstümmelung weiblicher Genitalien.
Istanbul Convention: „[E]xcising, infibulating or performing any other mutilation / Entfernung, Infibulation oder Durchführung jeder sonstigen Verstümmelung“ – zu befürchten ist, dass ein ritueller Einschnitt oder ritueller Einstich, beide zu FGM Typ IV der WHO Klassifikation, unter „mutilation, Verstümmelung“ nicht gemeint sind. Ggf. also geht eine FGM Typ IV konform mit der Istanbulkonvention. „[T]o the whole or any part of a woman’s labia majora, labia minora or clitoris“ – da steht clitoris, da fehlt clitoral hood, Klitorisvorhaut (vgl. FGM Typ Ia). Ggf. also gestattet die Istanbulkonvention eine FGM Typ Ia Klitoris(teil)amputation.
Nicht erst seit der Istanbul-Konvention ist auch der deutsche § 226a StGB kein Schutz vor FGM Typ Ia oder FGM Typ IV der WHO-Klassifikation. Dass muss sich ändern.
Auch die Jungenbeschneidung, die männliche Genitalverstümmelung ist immer ein massiver Eingriff, der nicht selten den Tod und häufig lebenslange Schmerzen und psychologische Traumata nach sich zieht. Die Grund- und Freiheitsrechte des Individuums betreffend, hat das Grundgesetz zwischen Frau und Mann, zwischen Mädchen und Junge nicht zu differenzieren (https://tinyurl.com/yb8dvgau).
Gefurchtes Band (ridged band), Frenulum (Bändchen) und Frenulares Delta vor allem sind es, welche die Penisvorhaut (Präputium) zum männlichen Lustorgan Nummer Eins machen. Mit den, in der Glans (Eichel) in dieser Höhe nicht vorhandenen, präputialen 10000 bis 20000 Tastkörperchen bzw. Nervenendigungen der Typen Meissner, Merkel, Ruffini und Vater-Pacini wird dem Jungen das sensorische Äquivalent nicht zur Klitorisvorhaut, sondern zur Klitoris (!) amputiert.
Edward von Roy am Permanenter Link
Der Intaktivismus hat die sogenannten Beschneidungen an Mädchen oder Jungen, wir haben von Genitalverstümmelungen zu reden, als schwere Menschenrechtsverletzung erkannt.
Die fünfzehn- oder sechzehnjährigen Xhosa sind nicht in der Lage, sich dem Ehre herstellenden Ritual zu entziehen, jährlich sterben einige. Denn wer in diesem Volk männlich geboren und nicht beschnitten ist, gilt nie als Mann und kann vom väterlichen Besitz nichts erben, die Ehe bleibt ihm unzugänglich. „Ndiyindoda!“ hatte der jugendliche Xhosa Nelson Mandela zu rufen: I’m a man!
In jeder Beschneidungskultur ist der - oder die! - Unbeschnittene rechtlich und sozial ausgelöscht.
Wer gegen FGM arbeitet, sollte vom Mau Mau Aufstand wissen und auch ein noch so antikolonial fühlendes Mädchen nicht rufen lassen: „Ngaitana – I will circumcize myself“, auch wenn nur die ggf. kindliche Wunsch-FGM hundertprozentige genitale Selbstbestimmung ist, genital autonomy.
Wer Aushandlungsprozesse ritueller Beschneidungen plant oder für wünschenswert hält, macht sich zum Komplizen der schweren Menschenrechtsverletzung jeder Genitalverstümmelung. Von jeder etwaigen, die genitale Unversehrtheit Minderjähriger aufs Spiel setzenden Beratungslösung ist Abstand zu nehmen nach dem intaktivistischen sinngemäßen Grundsatz:
Ob Mädchen oder Junge, keine Beschneidung unter 18 Jahren.
ottokar am Permanenter Link
Der säkulare Staat kann nicht dulden, dass seine religiös neutrale Haltung durch religiöse Fundamentalisten ausgehebelt wird.
Die Impfgegner stehn schon auf der Matte und haben ihre religiösen Begründungen dafür schon vorgetragen.
Die Moslems haben ihre religiösen Begründungen bereits vorgetragen, warum ihre Mädchen nicht am Sportunterricht / Schwimmen teilnehmen sollen.
Ebenso haben Moslems bereits zum Ausdruck gebracht, dass ein Verbot von Zwangs-Eheschließung, Kinderehen und Polygamie sie herzlich wenig interessiert.
Auch die Blutrache kann von jedem religiösen Fanatiker jederzeit begründet werden (Auge um Auge Zahn um Zahn) und es können sich dieser heiligen Tradition sogar alle kriminellen Rockerclubs und Mafiosi anschließen die sich im „Krieg“ miteinander befinden.
Eine Bundestagsmehrheit schafft hier einen rechtfreien Raum indem sie den einen etwas verbietet was sie den anderen durchgehen lässt.
Und noch etwas: Die Judenvernichtung wurde von einem Terrorsystem durchgeführt das mit der demokratischen Bundesrepublik nichts zu tun hat. Hier sollten sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinden nicht verleiten lassen dies miteinander zu vergleichen, denn das würde meinen Einsatz gegen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus herabwürdigen.
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Meiner Meinung nach machen sich die Holocaustvergleicher sogar strafbar, wenn sie das schlichte Nichtverletzen eines Babys - also normales Elternverhalten - mit millionenfachen Vergasungen vergleichen.
Maurice am Permanenter Link
Der hpd bringt ein nach wie vor so wichtiges Thema, aber
"oder nur als eine prophetische Empfehlung, die man schon aus schwachen Gründen missachten darf" - mit Verlaub, Dr. Herzberg hat kein Interesse am Islam jedenfalls keine Ahnung vom Islam.
Shaykh Ibn ‘Uthaymin (...) said:
The most correct view is that it is obligatory in the case of men and Sunna in the case of women.
https://islamqa.info/en/answers/9412/circumcision-how-it-is-done-and-the-rulings-on-it
Shia Islam
Most Shia traditions regard the practice as obligatory.
https://en.wikipedia.org/wiki/Khitan_(circumcision)#Shia_Islam
Sunni Islam
Amongst Ulema (Muslim legal scholars), there are differing opinions about the compulsion of circumcision in Sharia (Islamic law). Imams Abū Ḥanīfa, founder of the Hanafi school of Fiqh (Islamic jurisprudence), and Malik ibn Anas, maintain that circumcision is a Sunna Mu'akkada — not obligatory but highly recommended. The Shafi‘i and Hanbali schools see it as binding on all Muslims.
https://en.wikipedia.org/wiki/Khitan_(circumcision)#Sunni_Islam
Begründung in den großen islamischen Rechtsschulen
Die Schafiiten, die meisten Hanbaliten, Schiiten und einzelne malikitische Autoren betrachten die Beschneidung als zwingende religiöse Pflicht (Wadschib) (...) Die Hanafiten, die meisten Malikiten und eine schafiitische Mindermeinung sowie der Begründer der hanbalitischen Schule nach einer überlieferten Ansicht betrachten die Beschneidung als "Sunna", als kultischen Brauch des Islam, welcher der natürlichen Veranlagung (Fitra) entspricht. Auch wenn sie ihn nicht für unabdingbar halten, so wird er doch als grundlegend wichtig betrachtet. Wenn sich nämlich die Menschen an einem Ort darauf einigten, ihn nicht mehr auszuführen, müsse die Staatsmacht sie dann bekämpfen, ähnlich wie bei der solcherart vereinbarten Aufgabe des Gebetsrufes. Dies zeigt die große Bedeutung des Brauches auch für die Vertreter dieser Schulen.
Prof. Dr. Mathias Rohe, 29.10.2012
http://www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/Magazin/Recht/Beschneidung-Grundlagen/beschneidung-grundlagen-node.html
Hans Trutnau am Permanenter Link
"... dass es starke Gründe gebe, sich davon zu verabschieden ..." - allerdings.
Weg mit MGM wie FGM!
Sollte doch einsichtig sein. Eigentlich.
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Nicht nur einsichtig.
Bei Eltern, die selbst Opfer sind, kann man berücksichtigen, dass sie selbst traumatisiert sind, was zu einer Ablehnung des verletzten Körperteils führt. Oft haben sie vor dem sexuellen Sinnesorgan und sexuellen Gefühlen panische Angst. Das kann man entschuldigen, aber man muss trotzdem die Kinder schützen, und das bedeutet selbstverständlich den Obsorgeentzug und die Unterbringung der Kinder bei Menschen, die sie nicht verletzen.
Ärzte, die dieses Verbrechen begehen, haben auf jeden Fall ihre Zulassung zu verlieren und sind angemessen zu bestrafen.
Ein Staat muss sich an die eigenen Gesetze halten, sonst ist der Staat kein Staat, sondern von der verstümmelungswütigen Religion dominiert.
Menschen, die so ein schweres Verbrechen begehen, müssen sofort verhaftet werden und das Kind in Sicherheit gebracht. Religionen, die schwere Verbrechen im Grundsatzprogramm haben, müssen natürlich verboten werden. Das ist das einzige, was in einem zivilisierten Stat möglich ist.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nicht nur (!) "von der verstümmelungswütigen Religion dominiert". Und nun? Die Verhaftungen / Verbote werden in einem solchen Staat nicht durchsetzbar sein.
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Durchsetzbar wären sie sehr wohl, aber der Wille fehlt. Dabei müsste man sich einfach nur an die Gesetze halten.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Durchsetzbar wären sie sehr wohl, aber der Wille fehlt. Dabei müsste man sich einfach nur an die Gesetze halten." - Ach ja, wenn das in unserer "Kirchenrepublik Deutschland" so einfach wäre.
Der Wille fehlt mitunter.
Woran könnte das liegen?
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Zwei Dinge sind völlig klar:
Die Täter wollen nicht bestraft werden.
Kein normaler Mensch foltert und verstümmelt Kinder.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Wenn religiöse Vorschriften über juristischen stehen" würden - dann wäre das der Anfang vom Ende des Rechtsstaats.
Hoppla, schrieb ich da gerade Rechtsstaat?
Da geht das ganz einfach ohne großen Aufschrei...
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Wir sind mitten drin, nicht Anfang vom Ende. Babys und Kinder werden schwer verletzt und der Staat duldet das nicht nur stillschweigend, sondern macht dabei auch noch aktiv mit.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Wir sind mitten drin, nicht Anfang vom Ende." Man beachte meinen Konjunktiv "das wäre".
Und ich schrieb ja "Kirchenrepublik Deutschland". Da sind wir in der Tat mitten drin.
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Grad gegoogelt; vorher kannte ich es nicht.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Und hoffentlich gleich bestellt!?!
Da werden Ihnen die Augen aufgehen...
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Nein, ich würde nichts Neues erfahren. Außerdem sehe ich es als das größte Problem an, dass schwere Körperverletzungen an Babys und Kindern vom Staat unterstützt werden.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Nein, ich würde nichts Neues erfahren."
Doch, denke ich.
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Bezüglich schwerer Körperverletzungen an Kindern sicher nicht. Da weiß ich alles.
Martin Freytag am Permanenter Link
Bei aller Hochachtung vor den
religiösen Traditionen des Judentums -
ein brillanter, differenziert und sachlich
argumentierender Text, der Brücken schlagen und um Verständnis werben möchte.
Chapeau!
Roland Fakler am Permanenter Link
Für religiöse Juden gibt es 613 mehr oder weniger seltsame Gesetze, die sie zu befolgen hätten, um ihrem Gott zu gefallen. Die Bibel fordert für die banalsten "Vergehen" die Todesstrafe, z.B.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Hallo Herr Fakler, Dieser von Menschen in der Bronzezeit erfundene Gott darf uns heute nicht mehr seine (von unwissenden Menschen erfundenen) Gesetze diktieren! ... leider sieht die Realität anders aus.
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Es wird Zeit, auch den psychiatrischen Aspekt anzuerkennen.
Jeder Psychiater weiß, wie sich ein schweres Trauma in der frühen Kindheit auswirkt. Es wird nicht der Täter gefürchtet, sondern der Körperteil, wo das Trauma wahrgenommen wird, insbesondere, wenn das Opfer in einem Alter ist, in dem es noch nicht begreift, dass es andere Menschen gibt. Der extreme Schmerz und die Todesangst müssen also von dem verletzten Körperteil kommen, nicht von einem Messer oder einem Menschen, höchstens von der eigenen Mutter. Mehr Erkenntnis ist in der Vorstellungswelt eines Neugeborenen nicht möglich. Und die Opfer haben tatsächlich ihr Leben lang Angst vor der Vorhaut. Das manifestiert sich in teilweise anerkannten Intellektualisierungen der Todesangst vor der Vorhaut. Angeblich wäre die Vorhaut infektiös und begünstigt tödliche Krankheiten. Das Gegenteil ist richtig. Auch der Geruch der heilenden Wunde erinnert die Opfer ihr Leben lang an ihre dunkelsten Tage. Was für Gesunde einfach nur stinkt, löst in Verstümmelungsopfern Todesangst aus. Auch Brustwarzen sind von dem Trauma betroffen.
Opfer, die als Babys traumatisiert wurden, haben den krankhaften Zwang, alle Vorhäute zu entfernen, weil sie "wissen", dass die Vorhaut männliche Babys aufessen und umbringen will. Interessanterweise sind Klitorisvorhäute nicht so gefräßig und tödlich.
Ältere Opfer haben immerhin die Erkenntnismöglichkeit, dass ihnen der Schmerz und die Amputation von einem Menschen zugefügt wird, der weiß, was er tut. Und dass die Eltern, die eigentlich dafür da sind, ein Kind bestmöglich aufzuziehen, den Akt unterstützen. Das allein ist schon traumatisch genug, und das Kind muss lernen, dass es sich nicht zu wehren hat, denn es ist allein nicht lebensfähig. Es begreift, dass es keine Chance hat, und lässt die Verstümmelung über sich ergehen. Als Folge hasst es später Kinder, die sich wehren wollen, weil sie sich nicht unterordnen und damit ihr eigenes Leben gefährden. Es ist die gleiche Art von Aggression, die gesunde Eltern empfinden, wenn ihr Kind auf die Straße rennt.
Langer Schreibe kurzer Sinn: Es nutzt nix, den selbst traumatisierten Tätern zu erklären, dass Körperverletzungen an Kindern streng verboten sind, denn sie begreifen es nicht, da die empfundene Bedrohung durch das eigene Trauma stärker ist. Überzeugungsarbeit ist nicht möglich. Verstümmelungsopfer mit verinnerlichten Trauma brauchen eine Psychotherapie und sind auf keinen Fall geeignet, Eltern zu sein.
M. S. am Permanenter Link
Männer, denen das angetan wurde, versuchen mitunter, das eigene Leid kleiner zu machen, indem sie ganz fest überzeugt davon sind, dass eine Beschneidung nicht schlimm ist.
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Das ist nicht nur ein Schönreden, sondern durch das Trauma entsteht auch ein ganz anderer Zugang zum verletzten Körperteil.
Neugeborene empfinden den schlimmsten Schmerz, den ein Mensch erleiden kann, sind überzeugt davon zu sterben und ersticken fast, weil sie mit dem Herausschreien des Schmerzes nicht nachkommen. Oft verlieren sie auch tatsächlich das Bewusstsein. Die Folge ist, dass die Opfer ihr ganzes Leben lang panische Angst, Todesangst vor Vorhäuten haben, denn Neugeborene erkennen keinen Täter, sondern nur den Schmerz, und der findet an der Penisspitze statt; folglich ist diese lebensbedrohend.
Bei Opfern, die schon älter sind, ist die Folge, dass sie ungehorsame Kinder, die sich wehren, hassen, weil sie nicht gehorchen. Aber man MUSS gehorchen.
Durch beide Reaktionen der Seele wird der Teufelskreis überhaupt erst möglich. Er wird quasi zum Selbstläufer.
Die spätere Beurteilung des sexuellen Vermögens läuft nach äußeren Maßstäben ab. Eine Erektion oder eine Ejakulation wird als "Funktionieren" angesehen, auch wenn es eine halbe Stunde dauert und von keinerlei Lustgefühlen begleitet ist. (Da gibt's noch mehr eigenartige Beurteilungen der eigenen Potenz, aber das wäre zu lang und ist nicht das Thema.)
Nicht zu leugnen ist, dass JEDES Opfer sexueller Verstümmelung neben den körperlichen auch schwere psychische Schäden hat.
Götz am Permanenter Link
Es ist erschütternd, dass es im 21. Jahrhundert noch Menschen gibt, die ihren geliebten Kindern ihre religiöse Überzeugung mit dem Skalpell aufzwingen.
Dagmar Rehak am Permanenter Link
Damit wird's wohl nicht so weit her sein. Es ist mMn nicht möglich, ein Kind zu lieben und es gleichzeitig zu verstümmeln.