Kommentar

Impfen ist keine persönliche Entscheidung!

Endlich ist in Deutschland genug Impfstoff gegen das Coronavirus vorhanden, doch die Zahl der Impfwilligen sinkt. Und das trotz erneut steigender Infektionszahlen. Ist der Verzicht auf eine Impfpflicht angesichts dieser Situation wirklich eine gute Idee? Ein Kommentar von Frank Welker.

Als ich in den 70er Jahren meine ersten Gehversuche machte, war die Impfpflicht gegen die Pocken gerade abgeschafft worden. Das Virus konnte mithilfe der Impfung gezielt ausgerottet werden. Anders als noch meine Eltern trage ich keine Pockennarbe mehr. Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen ist, dass ich mit meiner Mutter in einer langen Schlange vor dem Gesundheitsamt stand, um die Schluckimpfung gegen Polio zu bekommen. Kinderlähmungen spielen heute in Deutschland keine Rolle mehr. Den Keuchhusten dagegen bekam ich, die Ständige Impfkommission hatte 1975 die Empfehlung hierfür zurückgenommen. 1995 ging es dann zum Bund. Niemand wurde dort gefragt, ob er eine Tetanus-Spritze haben wollte. Die Erhaltung der Kampffähigkeit des Soldaten hatte oberste Priorität. Als ich dann nach meiner kaufmännischen Ausbildung an die Uni Trier wechselte, gab es dort einen Tuberkulose-Ausbruch. Ausländische Studierende hatten die Krankheit eingeschleppt. Ich war sehr froh, in meinem Impfpass noch ein Kreuz bei Tuberkulose zu entdecken. Etwas jüngere Studierende hatten teilweise weniger Glück, diese mussten sich von der eingesetzten Bundeswehr röntgen lassen. Nun befinden wir uns in der schlimmsten Pandemie seit vielen Jahrzehnten und könnten diese Dank der Impfung in wenigen Monaten beenden.

Anfang des Jahres schrieb ich hier an gleicher Stelle einen Kommentar, in dem ich mich deutlich für eine Impfpflicht aussprach. Dafür bekam ich viel Kritik, es sei zu früh für diese Debatte, es gäbe noch zu wenig Impfstoff, der Freiheitseingriff sei unverhältnismäßig und der Impfstoff sei nicht ausreichend getestet. Überzeugt hat mich die Kritik nicht. Insbesondere deshalb, weil ich schon ahnte, was kommen würde. Ich schrieb: "Die einem Meinungsforschungsinstitut gegenüber geäußerte Impfbereitschaft bedeutet noch lange nicht, dass man sich auch tatsächlich impfen lässt. Zudem ist zu erwarten, dass mit dem kommenden Sommer und den wetterbedingt niedrigeren Infektionszahlen die Bereitschaft zur Impfung wieder abnehmen wird. Im Herbst würde das Virus dann ein Comeback feiern." Nichts wäre mir lieber gewesen, als mich in diesem Punkt zu irren! Leider sehen wir jetzt, dass die Herdenimmunität in sehr weite Entfernung gerückt ist, letztlich weil die Delta-Variante die Messlatte noch mal deutlich höher gelegt hat. Schon steigen die Infektionszahlen wieder deutlich. Die Impfbereitschaft hingegen offensichtlich nicht. Die Impfkampagne hat dramatisch an Schwung verloren. Die in einigen Umfragen geäußerte hohe Bereitschaft zur Immunisierung reicht für einen Gang zum Arzt oder ins Impfzentrum offensichtlich nicht aus. 

Dennoch will die breite Mehrheit der politischen Entscheidungsträger keine härtere Gangart gegenüber Impffaulen und Impfverweigerern. Eine Impfpflicht solle es nicht geben, so der breite Tenor. Auch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände wenden sich entschieden gegen eine Pflicht zur Immunisierung. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) etwa argumentiert mit der hohen Impfquote von Erziehern und Lehrern. Allerdings können sich Kinder ihre Betreuungspersonen nicht danach aussuchen, ob diese geimpft sind oder nicht. Völlig zu Recht hatten die GEW und die Berufsverbände immer wieder eingefordert, dass Lehrer und Erzieher vor dem Virus geschützt werden müssen. Nicht zuletzt deshalb waren viele Einrichtungen teils monatelang geschlossen oder liefen nur im Notbetrieb, mit dramatischen Folgen für die Kinder und Jugendlichen. Nun gibt es mit der Impfung den bestmöglichen Schutz für die Beschäftigten. Wer diesen jetzt aber ohne medizinisch nachvollziehbaren Grund nicht will und damit außerdem seine Schüler unnötig gefährdet, der sollte sich einen anderen Job suchen!

Ich frage mich wirklich, warum wir maximale Rücksicht auf Menschen nehmen, die sich indiskutabel unsolidarisch verhalten? Tatsache ist, dass Geimpfte nicht nur sich selbst schützen, sondern auch andere. Es ist sehr viel unwahrscheinlicher, dass Geimpfte das Virus weitergeben als Ungeimpfte. Völlig verrückt wird es, wenn Impffaule jetzt noch mit Prämien und Geldgeschenken belohnt werden sollen, wenn sie es doch noch schaffen, sich von der Couch zu erheben. Was für ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich früh um eine Impfung gekümmert haben! In Frankreich ist man dagegen weniger einfühlsam. Präsident Emmanuel Macron kündigte diese Woche eine Impfpflicht für Pflegepersonal an. Wer die Immunisierung verweigert, wird künftig ohne Gehalt auskommen müssen. Auch seine Drohung, Lockerungen wieder zurückzunehmen, zeigte umgehend Wirkung. In einer einzigen Nacht vereinbarten eine Million Franzosen einen Impftermin. Vielleicht ist eine generelle Impfpflicht also doch nicht nötig, wenn man unsolidarisches Verhalten zumindest klar benennt und gegebenenfalls sanktioniert. Lasst uns bitte gemeinsam diesen Horror endlich beenden!

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