Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Prof. Robert Roßbruch, kritisierte in einem hpd-Interview die Haltung des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) im Zusammenhang mit der Suizidhilfe. Darauf reagierte der Bundesverband des HVD mit einem Offenen Brief, den der hpd im Wortlaut veröffentlicht.
Sehr geehrter Professor Roßbruch,
mit großer Verwunderung haben wir Ihre nachfolgende Aussage, die im hpd-Interview mit Ihnen am 23. Februar 2022 zu lesen war, zur Kenntnis genommen.
"[…] Nebenbei sei angemerkt, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Suizidhilfe-Urteil nicht ein einziges Mal den Begriff 'Beratungspflicht' verwendet hat. Dass der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) so vehement für eine solche, die Autonomie des Einzelnen negierende Beratungspflicht eintritt, ist wohl primär den monetären Interessen dieses Verbandes geschuldet, der sich durch die Einführung einer Beratungspflicht verspricht, den größten Teil des Kuchens für die dann zu implementierenden, staatlich finanzierten Beratungsstellen zu erhalten."
Zweierlei ist daran befremdlich: Zum einen unterstellen Sie uns hier "ein monetäres Interesse", für das Sie schwerlich einen Beleg finden dürften. Wir kämen auch nicht auf die Idee, der DGHS durch ihre Vermittlung von Suizidbeihilfen ein monetäres Interesse zu unterstellen. Darüber hinaus ist die Vorstellung aberwitzig, der HVD könnte bei staatlich finanzierten Beratungsstellen "den größten Teil des Kuchens erhalten". Wir leiden nicht an Selbstüberschätzung.
Zum anderen behaupten Sie, die von uns vertretene Beratungspflicht verletze die Autonomie des Einzelnen. Nebelbombe, Blendgranate? Wer das BVerfG-Urteil ernst nimmt, sollte inzwischen wissen: Kein freiwillensfähiger Suizident – sei es wegen Verschuldung, Vereinsamung, Liebeskummer, Suchterkrankung, Verlusterfahrung oder was auch immer – darf mit Zwangsmaßnahmen davon abgehalten werden, sich das Leben zu nehmen. Er hat, ob alt oder jung, krank oder gesund, darüber hinaus seit dem 26. Februar 2020 auch das Recht, Hilfe dazu, sofern sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Letzteres aber nur unter der Voraussetzung, dass es ihm nicht an Kenntnis über mögliche Alternativen mangelt, wobei er diese – etwa bestehende Hilfs- oder Palliativangebote – dann aber ohne jede Rechtfertigung keinesfalls anzunehmen hat. Der Humanistische Verband befürwortet den Schutzraum von völlig ergebnisoffenen Gesprächen zur Gewährleistung einer stimmigen persönlichen Entscheidung. Wenn Sie darin nichts anderes zu erkennen vermögen als die totale Negation von Autonomie, haben Sie ein echtes Problem.
Denn diese Sorgfaltspflichten legen die Sterbehilfeorganisationen, die gerade ihren Berliner Appell vorgetragen haben, ganz selbstverständlich – und zu Recht – ebenfalls zugrunde. Logischerweise müssten Sie sich dann selbst den Vorwurf einer angeblichen Negation der Autonomie gefallen lassen. Kein Suizidwilliger bekommt von Dignitas, DGHS oder dem Verein Sterbehilfe eine Suizidassistenz nur aufgrund eines freundlichen Gesichts oder seiner Leidensmiene. Meinen Sie im Ernst, es würde daran etwas ändern, wenn Sie meist statt "Beratungen" den Begriff "Aufklärungsgespräche" verwenden?
Sie äußern in dem oben genannten Interview, "dass es auch beim Thema Freiverantwortlichkeit des Suizids nur seitens des freitodbegleitenden Arztes eine Pflicht gibt, Aufklärung und Beratung anzubieten, hingegen keine Pflicht des Suizidwilligen, das Angebot anzunehmen. Es gibt also keine Beratungspflicht für den Suizidwilligen." Mit Verlaub, das ist Augenwischerei. Richtig ist vielmehr, dass er Alternativangebote nicht annehmen muss. Wenn der Suizidwillige sich aber selbst Gesprächen verweigern sollte, gibt es eben auch keine ärztliche Suizidhilfe.
Nennen Sie es Arztgespräch zur Abklärung des Klientenwillens, Aufklärung über Alternativen oder wie immer sie wollen. Letztlich handelt es sich immer auch um eine Beratung, insbesondere wenn man sich gleichzeitig starke Suizidprophylaxe auf die Fahnen schreibt. Die Suizidhilfeorganisationen tun also, was sie sollen. Die Position des HVD ist es jedoch, dass wir nicht bei einer Situation wie in der Schweiz stehen bleiben sollen: Suizidhilfe bekommt nur, wer Mitglied einer Suizidhilfeorganisation ist. In Ihrem Brief vom 5. März 2021 an das Oberverwaltungsgericht Münster im Fall Harald Mayer schreiben Sie im Hinblick auf Deutschland: "Die Inanspruchnahme einer Sterbehilfeorganisation setzt jedoch zum einen eine Mitgliedschaft und zum anderen entsprechende finanzielle Mittel voraus, um die Kosten einer Suizidhilfe durch eine Sterbehilfeorganisation (nach Aussagen der in Deutschland aktiven Sterbehilfeorganisationen liegen diese zwischen 5.000 EUR und 9.000 EUR) bestreiten zu können."
Wir müssen jedoch dahin kommen, dass auch Ärzte in nennenswerter Zahl bereit sind, bei einer freiverantwortlichen Selbsttötung zu assistieren. Dafür kann es hilfreich sein, ihnen durch ausgebildete Berater Unterstützung und Rechtssicherheit zu liefern, insbesondere bei Suizidwilligen, die aufgrund anderer Motive als einer schweren Erkrankung aus dem Leben scheiden wollen. Auch eine Überlassung von Natrium-Pentobarbital gemäß des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes (als extreme Ausnahmefälle nur für todesnah Schwerstleidende!), für die Sie sich ins Zeug legen, würde dann auf gesetzlicher Grundlage für alle möglich sein, eben auch für Suizidenten mit ganz anderer Motivlage.
Sehr geehrter Professor Roßbruch,
wir wollen hier nicht weiter ins Detail gehen, werden uns aber gerne im Rahmen von Fachgesprächen zu diesem Thema mit Ihnen streiten.
Nun aber möchten wir Sie bitten, Ihre zuvor genannten Verdächtigungen und Vorwürfe in aller Form zurückzunehmen und die bislang fairen Beziehungen zwischen unseren Organisationen nicht in dieser Weise zu belasten.
Mit humanistischen Grüßen
Humanistischer Verband Deutschlands – Bundesverband
gez. Erwin Kress
Sprecher Bundesvorstand
6 Kommentare
Kommentare
Frank Spade am Permanenter Link
Sehr gute Replik. Danke.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Das ist in meiner Wahrnehmung wie der Streit um des Kaisers Kleider, jeder der sein Leben nicht mehr erträgt, sollte die Möglichkeit haben, ohne große Rechtfertigung, von einem Arzt Natrium-Pentobarbital zur Verfügung
Dies auch ohne großen Finanziellen Aufwand, da jeder Mensch sein Leben selbst leben
kann und darf, so sollte dieser auch selbstbestimmt sein Ableben in der Hand haben.
Gita Neumann am Permanenter Link
Der Humanistische Verband hat den von Gegnern der Sterbehilfevereine stets vorgebrachten Vorwurf deren „Geschäftemacherei“ stets zurückgewiesen und sich nie dazu hergegeben, diesen - wider besseres Wissen – bösartig
Es sei erlaubt, der völlig überflüssigen Beleidung des Humanistischen Verbandes durch Prof. Roßbruch die neutrale Berichterstattung im HVD gemäß der Selbstauskunft der Vereine gegenüberzustellen. In seinem Newsletter „Sterbehilfevereine auf dem Vormarsch“ vom 17. Dez. 2021 heißt es dazu:
„ ... Laut dem Vorsitzenden Roger Kusch hat der Verein Sterbehilfe alle relevanten Informationen akribisch und transparent im Internet aufgelistet: Vereinsstatuten, ethische Grundsätze, Regeln der psychiatrischen und juristischen Begutachtung, Mitgliedsbeiträge, Wartefristen und Kosten einer Suizidbegleitung. Vereinsmitglieder, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollten, müssten einen Antrag stellen und sich einer Begutachtung unterziehen, die sicherstellt, dass ihre Entscheidung freiverantwortlich getroffen wurde. … Die begleiteten Suizide würden – zur Dokumentation der Tatherrschaft und somit auch zur rechtlichen Absicherung der Sterbehelfer*innen – „diskret“ auf Video aufgezeichnet. Je nach Länge und Art der Mitgliedschaft verlange Verein Sterbehilfe pro Suizidassistenz einen „Zusatzbeitrag“ in Höhe von 2.000 bis 7.000 Euro.
Bei Dignitas Deutschland muss nach Angaben ihres Justitiars Dieter Graefe „mit Gebühren zwischen 6.000 und 9.000 Euro“ gerechnet werden. Was „nach viel Geld klingen mag“, sagen sowohl Kusch als auch Graefe, deckt tatsächlich die Kosten, die jeweils durch psychiatrische Gutachten, Rechtsberatung, Medikamente, Reise- und Honorarkosten sowie Verwaltungsaufwand entstehen. Wer sich das nicht leisten könne, für den werde ein Ausweg gefunden, etwa über Spenden. Für die DGHS berichtet ihr Präsident Robert Roßbruch: 4.000 Euro koste die Assistenz dort, und da sich die DGHS offiziell nicht als Sterbehilfeverein versteht, soll das Geld zunächst auf ein Notar-Anderkonto überwiesen werden, von dem aus es dann zu den Ärzt*innen und Jurist*innen gelangt.“
Gita Neumann
Christian Walther am Permanenter Link
Die Aussage von Herrn Roßbruch bezüglich des HVD ist ein bedauerlicher Ausrutscher; dennoch müssen wir bei den Sachfragen bleiben und versuchen, richtig und falsch zu unterscheiden.
Wenn Herr Kress bekräftigt, der HVD trete für eine Beratungspflicht von Suizidwilligen ein, so verlangt er etwas, was in der Schweiz (vermutlich mehrheitlich) so nicht als erforderlich angesehen wird. Durch die Formulierung „Wenn der Suizidwillige sich aber selbst Gesprächen verweigern sollte, gibt es eben auch keine ärztliche Suizidhilfe“ soll anhand einer offensichtlich per se absurden, fiktiven Situation die Beratungspflicht als unabweisbar erscheinen. Falsch ist die Behauptung von Herrn Kress bezüglich der Schweiz, Suizidhilfe bekomme dort nur, wer Mitglied einer Suizidhilfeorganisation sei.“ Fakt ist: wir wissen nicht, wie oft Schweizer Ärzte Suizidhilfe wirklich leisten, aber die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat dazu Grundsätze veröffentlicht (siehe https://www.samw.ch/de/Ethik/Themen-A-bis-Z/Sterben-und-Tod.html ), die im Sommer leicht überarbeitet wieder-veröffentlicht werden. Seitens unserer Bundesärztekammer (BÄK) wird es hierzulande keine vergleichbare Positionierung geben, so lange der Bundestag kein neues Gesetz zu Suizidhilfe verabschiedet hat (persönliche Mitteilung der BÄK-Rechtsabteilung an C.W. vom 15.2.2022). Unrealistisch ist – leider! - die Forderung, man müsse dahin kommen, „... dass auch Ärzte in nennenswerter Zahl bereit sind, bei einer freiverantwortlichen Selbsttötung zu assistieren.“ Dagegen spricht alles, was ich im Laufe der letzten Jahre aus wissenschaftlichen Beiträgen und auch aus dem Internet folgern muss: weltweit sind Ärzte offenbar nur zu einem geringen Anteil bereit, beim Suizid zu helfen. Das wird sich kaum in nächster Zeit ändern, und schon deshalb sollten wir froh sein, dass in Deutschland Sterbehilfeorganisationen zugelassen sind. Die Preise für Suizidbegleitungen werden in dem Masse kleiner, wie die Mitgliederzahlen steigen. Bei EXIT gibt es derzeit (in der Deutschschweiz und im Tessin) schon über 140.000 Mitglieder; eine Suizidbegleitung ist kostenlos nach dreijähriger Mitgliedschaft; der Jahresbeitrag beträgt derzeit 45 CHF.
Gita Neumann am Permanenter Link
"Daher genügt es meines Erachtens, dass man in Deutschland analog zur Schweiz durch einen neuen Strafrechtsparagraphen Suizid-Beihilfe aus eigennützigen Motiven unter Strafe stellt", heißt es hier im Komment
Modell Schweiz also - ich denke aber, dass sich in einem Punkt HVD und die Sterbehilfevereine doch wohl völlig einig sind: KEIN neuer Strafrechtsparagraf zur Suizidhilfe.
Christian Walther am Permanenter Link
Sicher kann man so argumentieren – pauschal. Aber wann wurde denn dieser Vorschlag bisher überhaupt öffentlich gemacht, so dass sich die Sterbehilfevereine, die DGHS und der HVD damit inhaltlich befassen konnten?