Kommentar

Ist ein AfD-Verbot notwendig und angemessen?

Nach den Enthüllungen der Journalisten von Correctiv über das Treffen von rechten Politikern und Vordenkern sowie deren Pläne, Menschen aus Deutschland zu deportieren, gingen in den vergangenen Tagen Hunderttausende auf die Straße, um gegen die AfD zu protestieren. Zudem gibt es seit einiger Zeit auch vermehrt Diskussionen darüber, ob die Partei verboten werden soll, da sie den Boden des Grundgesetzes verlassen habe. Chefredakteur Frank Nicolai versucht eine Einordnung.

Die aktuellen Enthüllungen der Pläne von AfD, Identitären und dem rechten Rand der CDU/CSU (Werteunion) in Zusammenarbeit mit finanzstarken Industriellen haben die Demokraten in diesem Land endlich aufgeschreckt. Auch wenn diese Pläne weder neu noch überraschend sind. Denn wer sich Bücher von Björn Höcke, Martin Sellner (der bei dem Treffen anwesend war) oder anderer rechter Vordenker angeschaut hat, konnte wissen, dass die menschenverachtenden Pläne der Neurechten schon längere Zeit kursieren.

Jetzt jedoch sind meines Erachtens zwei Dinge gleichzeitig geschehen: Zum Einen macht das Erstarken der AfD vielen Menschen Angst. Eine Minderheit von um die 20 Prozent beträgt das inzwischen stabile Wählerpotential der Partei. Nun ist sicherlich nicht jeder AfD-Wähler ein Rechter oder gar "Nazi"; aber Deutschland hat historisch-kollektive Erfahrungen und Erinnerungen an die Gefahren, die sich aus dem Mitläufertum ergeben. Da gibt es eine Linie von Diederich Heßling bis zum Arbeiter, der die NSDAP wählte. Zum Anderen zeigen die Recherchen von Correctiv und die immer wieder aufkommenden Debatten um ein AfD-Verbot, welche Gefahren der Demokratie drohen.

Auch ein Blick über die Landesgrenzen hinaus macht seit Jahren deutlich, wohin die Reise gehen kann, wenn Rechtspopulisten an die Macht geraten. Man braucht dabei nicht einmal in die USA schauen, wo es einem Donald Trump gelang, ein riesiges Land zu spalten. Nein; ein Blick nach Ungarn oder Polen sollte genügen. Der Rollback, den Ungarn erlebte seit Orban an der Macht ist, dürfte viele Demokraten erschreckt haben. Und ja, auch er wurde demokratisch gewählt. Und hat dann schrittweise die Demokratie abgebaut.

Deshalb wird laut darüber nachgedacht, beim Bundesrat eine Petition einzureichen, um die Prüfung eines AfD-Verbots zu erreichen. Darin heißt es: "Wir fordern den Bundesrat auf, die Prüfung eines Verbots der AfD beim zuständigen Bundesverfassungsgericht zu beantragen. Weder der Politik noch der Öffentlichkeit steht es zu, über ein Parteiverbot zu entscheiden. Das ist laut Grundgesetz die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts." Anders als Petitionen, die bei campact oder ähnlichen Portalen eingestellt werden und eher der Beruhigung des Gewissens dienen, richtet sich die oben genannte Petition tatsächlich an die richtigen Empfänger. Ob der Bundesrat das Bundesverfassungsgericht mit der Prüfung eines Verbots beauftragen wird ist allerdings bislang noch völlig unklar.

Für den Publizisten und Juristen Heribert Prantl ist es "höchste Zeit", ein Verbotsverfahren zu initiieren, denn "die fatalen Pläne der Partei" seien durch den Correctiv-Bericht noch deutlicher geworden. Auch einige SPD-Politiker und -Politikerinnen wie die Parteivorsitzende Saskia Esken oder der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse haben die Prüfung eines Verbotsverfahrens gefordert. Da die AfD in drei Bundesländern vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft wird, wird es höchste Zeit, ein Verbotsverfahren zu prüfen. (Die Partei in ihrer Gesamtheit wird offiziell jedoch nur als "Verdachtsfall", nicht als "gesichert rechtsextremistisch" eingeschätzt.)

Der Politikwissenschaftler und Extremismus-Experte Armin Pfahl-Traughber wies gegenüber dem hpd darauf hin, dass noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine rechtsextremistische Partei so viel Wählerzustimmung erhielt. Das unterscheide sie zum Beispiel von der NPD (deren Verbotsverfahren deshalb scheiterte). Er wies allerdings auch darauf hin, dass Verbotsverfahren zu den Möglichkeiten einer streitbaren und wehrhaften Demokratie gehören und entsprechend geprüft werden können.

Ein Verbot sei aber davon abhängig, ob ein "agressiv-kämpferisches" Agieren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nachweisbar sei. Das sei aktuell im nötigen Maß aber nicht nachweisbar. Pfahl-Traughber warnt zudem davor, dass "ein Scheitern eines Verbotsverfahrens, das mindestens zwei bis drei Jahre dauern würde, katastrophal wäre" und zudem die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD zugunsten der Diskussion über ein Verbotsverfahren schwinden würde.

Auch andere Stimmen sprechen sich gegen ein Verbot aus. Carsten Schneider (SPD), der Ostbeauftragte der Bundesregierung(?), sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wenn wir eine Partei verbieten, die uns nicht passt, die in Umfragen aber stabil vorne liegt, dann führt das zu einer noch größeren Solidarisierung mit ihr…" Andere argumentieren, dass ein Verbot der Partei an den Einstellungen in der Bevölkerung grundsätzlich nichts ändern werde. Es sei besser, sich politisch mit der AfD auseinanderzusetzen.

Das ist an sich richtig, allerdings hat die politische Auseinandersetzung mit der AfD durch die anderen (etablierten) Parteien bislang nur dazu geführt, dass die Gesellschaft insgesamt nach rechts gerückt ist. Steigbügelhalter wie Friedrich Merz (CDU), der sich Rhetorik und Inhalte der AfD zu eigen macht; ein Hubert Aiwanger in Bayern, der offen rechtspopulistisch auftritt und damit Wahlen gewinnt oder jüngst Christian Lindner (FDP), der vor den protestierenden Bauern verbal auf die Ärmsten der Armen und Migranten einprügelte. Oder auch ein Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich für eine schnellere Abschiebung ausspricht… all das sind aktuelle Beispiele der "politischen Auseinandersetzung" mit der AfD. Eine sachgerechte und sozial gerechte Politik, die die Unzufriedenheit der Abgehängten beenden oder wenigstens mindern würde: Fehlanzeige.

Den Forderungen der Rechten Stück um Stück nachgeben und sich dann zu wundern, dass die Wähler nach rechts abwandern; Politik sollte anders aussehen. Die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Oben und Unten klafft seit Jahren immer deutlicher auseinander. Und anstatt wirklich anzupacken und zu versuchen, diese Schieflage in den Griff zu bekommen, werden – wie immer und weil es so viel einfacher ist – Sündenböcke gesucht, auf die man den Mob hetzen kann. Und dabei machen dann leider auch die Parteien mit, die jetzt eine "politische Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner" fordern.

Ein Verbot der AfD beziehungsweise die ganze Debatte darüber wäre unnötig, wenn Deutschland noch das wäre, als was es sich noch immer gern selbst bezeichnet: ein sozialer Rechtsstaat. Nur würde das bedeuten, dass Politiker nicht nur in Wahlperioden denken (und entsprechend handeln) und nicht populistisch, sondern pro populus (für das Volk) agieren müssten. Das jedoch kann sehr anstrengend werden.

Ob ein AfD-Verbot gerechtfertigt ist oder nicht – das liegt allein an der Realpolitik der kommenden Monate. Denn eine soziale Politik in Deutschland könnte ein Verbotsverfahren obsolet machen.

Unterstützen Sie uns bei Steady!