Wie sich ein Gericht für den "stillen Tag" stark macht

Am Karfreitag wird nicht getanzt

Es hat lange gedauert, bis das Verwaltungsgericht Ansbach sein schon Anfang März gefälltes Urteil zum Karfreitags-Tanzverbot in Nürnberg veröffentlicht hat. Doch nun liegen die ausführlichen Urteilsgründe vor. Der hpd fasst zusammen, wie die Richter bei ihrer Abweisung der Klage argumentierten, mit der sich der Bund für Geistesfreiheit (bfg) München (erfolglos) gegen die Stadt Nürnberg gewehrt hatte. Und wie der bfg nun reagiert.

Am Karfreitag des Jahres 2024, so war der Plan, sollte in Nürnberg an 14 Standorten getanzt werden. Was das städtische Ordnungsamt jedoch untersagte. Dagegen klagte der Bund für Geistesfreiheit (bfg) München. Doch die Weltanschauungsgemeinschaft und Körperschaft des öffentlichen Rechts scheiterte nicht nur mit ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz – gerichtet auf eine schnelle Erlaubnis noch für den Karfreitag 2024. Auch die beim Verwaltungsgericht Ansbach eingereichte Klage gegen die Stadt Nürnberg, dass das Tanzverbot rechtswidrig gewesen sei, blieb ohne Erfolg. Das Gericht brauchte ein gutes Jahr, um zu seinem Urteil zu kommen, dass das Tanzverbot aus seiner Sicht rechtlich in Ordnung geht. Und dann nochmal einige Monate, bis es seine Entscheidung ausführlich begründete. Mittlerweile wurden die Entscheidungsgründe auf der Internetseite der bayerischen Staatskanzlei veröffentlicht.

Der Karfreitag ist einer der sogenannten "stillen Tage", an denen ein grundsätzliches Tanzverbot gilt. In Bayern gibt es laut dem Feiertagsgesetz neun solcher stillen Tage. In anderen Bundesländern sind es weniger, aber der Karfreitag gehört auch andernorts dazu. 

Der bfg München stützte sich bei seiner Klage auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das er selbst im Jahr 2016 erstritten hatte.

Die höchsten Richter hatten damals entschieden, dass stille Tage zwar verfassungsgemäß seien. Doch es müsse Ausnahme- und Befreiungsregelungen geben, über die die Kommunen dann im Einzelfall entscheiden. Eben eine solche Ausnahmeregelung wollte der bfg München nun auch in Nürnberg durchsetzen. 

Dabei stützte der Verband seine Klage sowohl auf Artikel 4 des Grundgesetzes, die Weltanschauungsfreiheit, als auch auf Artikel 8 des Grundgesetzes, das Versammlungsrecht. Geplant waren Musikdarbietungen, die sich mit inhaltlichen Beiträgen (zu Beginn, im zweistündigen Rhythmus und zum Ende) abwechseln sollten. In den Redebeiträgen, so der Plan, würden Weltanschauung sowie die humanistischen Ziele vorgestellt, die auf der Internetseite des bfg München so zusammengefasst sind:

"Der Bund für Geistesfreiheit München ist eine Weltanschauungsgemeinschaft, die sich an den Grundsätzen der Aufklärung orientiert. Schwerpunkte unserer Arbeit sind die Trennung von Kirche und Staat sowie die Verteidigung der Bürger- und Menschenrechte. Wir setzen uns ein für ein selbstbestimmtes Leben und für die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse unter Beachtung ethischer Kriterien ein."

So argumentierte der bfg München vor Gericht

Die Musikbeiträge auch am "stillen" Karfreitag seien nicht Selbstzweck, wohl aber zentrales Medium, sozusagen "Botschaft" des Veranstalters, argumentierte der bfg gegenüber dem Ordnungsamt und vor Gericht. In Abgrenzung zu der "Leidensgeschichte" des Christentums gehe es um eine hedonistische Weltanschauung. Um "Lebensfreude". Das werde nicht durch eine Bach'sche Passion repräsentiert, sehr wohl hingegen unter anderem durch Discomusik. Die aktive Bekenntnisfreiheit einer atheistischen Weltanschauungsfreiheit bringe es mit sich, dass nicht nur positive Grundsätze wie Humanismus, Aufklärung, Toleranz und Liberalität werbend verbreitet würden, sondern stets auch eine Abgrenzung von theistischen Anschauungen nötig sei. Die Gottlosigkeit sei ein wesentliches Unterscheidungskriterium und gleichzeitig Bindeglied einer atheistischen Weltanschauungsgemeinschaft. Dies erfordere notwendigerweise auch eine Abgrenzung von den Feiertagen der Religionsgemeinschaften. Der Wunsch, am Karfreitag zu tanzen, sei daher Element der aktiven Betätigung des weltanschaulichen Bekenntnisses.

Das Nein der Stadt Nürnberg

Die Stadt Nürnberg hingegen sah den stillen Karfreitag in Gefahr und argumentierte vor Gericht: Durch die Lage der Veranstaltungsörtlichkeiten, von denen allein zwölf im Innenstadtbereich situiert seien, werde es zu einer massiven Störung des Ruhecharakters des Karfreitags auch im öffentlichen Raum kommen. Man könne allenfalls die Genehmigung für lediglich eine einzige Party erteilen. Was der bfg München ablehnte – mit dem Argument, das Ordnungsamt habe nicht zu beurteilen, wie viele Veranstaltungen eine Weltanschauungsgemeinschaft durchführe. Genauso wenig werde ja gezählt oder vorgeschrieben, wie viele christliche Messen an einem Sonntag gelesen werden dürfen.

Und so urteilte das Verwaltungsgericht Ansbach

Das Verwaltungsgericht Ansbach gab der Stadt Nürnberg Recht. Zwar sei entsprechend dem früheren Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts auch am Karfreitag eine Befreiung von Veranstaltungsverboten möglich. Doch eine fehlerhafte Entscheidung der Behörde könne man hier nicht erkennen.

Artikel 4 des Grundgesetzes, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, sei durch die ablehnende Entscheidung der Stadt Nürnberg nicht verletzt. Der bfg München habe weder ausreichend die weltanschauliche Prägung der geplanten Veranstaltungen dargelegt noch ein praktisch plausibles Veranstaltungskonzept vorgelegt. Die Richter wörtlich: "Die Klägerin hat als Veranstalterin bis zuletzt keine vor Ort verantwortliche Personen benennen können, was das Vorbringen geplanter und nicht näher umrissener 'weltanschaulicher Beiträge' mehr als unglaubhaft erscheinen lässt."

Auch das Recht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes sei durch das Verbot nicht verletzt worden: "Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird nicht allein dadurch zu einer Versammlung im Sinne von Artikel 8 Grundgesetz, dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen. Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob eine derart gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. (...) Mangels Darlegung eines hinreichend konkretisierten Programmablaufs ist ein Gesamtkonzept, das gewichtige Elemente der Meinungskundgabe enthält, nicht erkennbar. Anhand der spärlichen Angaben der Klägerin ist vielmehr von einem regulären Clubbetrieb auszugehen, welcher durch nicht näher bezeichnete Beiträge unterbrochen wird."

Der Stadt Nürnberg, so die Richter, sei "mit Blick auf ihre Ermessensausübung darin zuzustimmen, dass der gleichzeitige Betrieb der inmitten (der Stadt, Anm. d. A.) stehenden Clubs zu einem wenn nicht 'regulären', dann aber jedenfalls weitgehenden Nachtleben führen würde und dies bei der Gewährleistung des Stilleschutzes zu berücksichtigen ist".

Dann eben an Allerheiligen

Anders als in Nürnberg herrschte am Karfreitag 2024 und 2025 keinesfalls überall im Land Grabesstille. Landauf landab spielten Behörden durchaus mit, wenn es um die Genehmigung von "Heidenspaß"-Aktivitäten ging. Welche das waren, können Sie hier nachlesen.

Der gesellschaftliche Wandel mit immer weniger Kirchenmitgliedern und einer Mehrheit der Konfessionsfreien, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, wann sie (nicht) feiern dürfen, wird diesen Trend in den kommenden Jahren weiter verstärken. Und auch die Stadt Nürnberg will der bfg München in dieser Hinsicht nicht verloren geben. Eine einzelne Party fand in diesem Jahr an Karfreitag bereits statt (der hpd berichtete). Die bfg-Vorsitzende Assunta Tammelleo plant für den 1. November, Allerheiligen, drei Tanzveranstaltungen unter dem Motto "Heidenspaß statt Höllenqual". Sie geht optimistisch davon aus, dass sie für drei Clubs in der Stadt unter Berücksichtigung der im Urteil gemachten Vorgaben entsprechende Genehmigungen bekommen werde, sagte sie dem hpd: "Wir wollen die Frankenhochburg bespaßen." Dass die Nürnberger ein bisschen Spaß bräuchten, sehe man an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der ja auch aus Franken stammt. Tammelleo: "Die Tatsache, dass er sich an Fasching gern als König Ludwig verkleidet und ansonsten öffentlich Wurst verzehrt, deutet darauf hin, dass er eine Schulung in echtem Humor gebrauchen kann."„

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