Sterbehilfedebatte

Gesetzentwurf verfassungswidrig und untauglich

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Jens Spahn auf dem CDU-Bundesparteitag 2014 in Köln
Jens Spahn (CDU)

Die Suizidhilfe generell als potenzielle Straftat zu definieren und sie nur unter sehr engen Bedingungen und für einen schwer leidenden Menschen unerträglich langen Wartefristen zuzulassen, ist unnötig und diskriminierend. So lautet die Grundaussage einer Pressemitteilung von DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben (Sektion Deutschland) zum Gesetzesvorschlag des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn "zur Neufassung der Strafbarkeit der Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der freiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung".

Nach den Gesetzentwürfen der Arbeitsgruppen Renate Künast und Katja Keul vom 28. Januar 2021 sowie Katrin Helling-Plahr, Dr. Karl Lauterbach, Dr. Petra Sitte, Swen Schulz und Otto Fricke vom 29. Januar dieses Jahres zur Regulierung von Suizidhilfe wurde am 12. März ein weiterer des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) öffentlich bekannt, der von verantwortlicher Seite aus nicht "Gesetzentwurf" genannt werden soll. Wie bereits die vorgenannten, so ist auch sein Gesetzesvorschlag verfassungswidrig. Hilfe zur Selbsttötung würde damit unter Strafe gestellt, obwohl das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 26. Februar 2020 eine solche gesetzliche Bestimmung für verfassungswidrig erklärt hat.

Weitreichende Verfassungswidrigkeit

Die Evidenz der Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzesvorschlags wird noch dadurch verstärkt, dass nunmehr nicht nur die geschäftsmäßige, sondern auch eine sonstige Förderung der Selbsttötung eines anderen unter Strafe gestellt werden soll.

Die Hilfe zur Selbsttötung generell als Straftat zu definieren und sie nur unter sehr engen Bedingungen und für einen schwer leidenden Menschen unerträglich langen Wartefristen zuzulassen, ist zynisch, unnötig und diskriminierend. Die Verfassungswidrigkeit des vorgeschlagenen neuen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch wird auch nicht dadurch beseitigt, dass durch Ausnahmeregelungen die praktische Auswirkung dieses neuen Verbotsgesetzes reduziert werden soll. Es kommt hinzu, dass einzelne vorgesehene Ausnahmeregelungen nicht praktikabel sind. Dazu zwei Beispiele:

Hohe Hürden für Schwerleidende

Die zur Selbsttötung entschlossene Person muss zunächst ein Beratungsverfahren durchlaufen. Nachdem dieses Verfahren durchgeführt und eine entsprechende Bescheinigung ausgestellt worden ist, hat der Sterbewillige von diesem Zeitpunkt an weitere sechs Monate abzuwarten, bevor die Unterstützung der Selbsttötung erfolgen darf. Zwar sieht Paragraf 7 des vorgeschlagenen Selbsttötungshilfegesetzes vor, dass die Sechs-Monats-Frist durch eine Entscheidung des Betreuungsgerichts abgekürzt werden kann. Insoweit verkennen die Verfasser dieses Gesetzesvorschlages jedoch die zeitlichen Möglichkeiten eines Betreuungsgerichts zur Verfahrensdurchführung. Das Betreuungsgericht wird sämtliche verfügbaren ärztlichen Unterlagen überprüfen, weitere Stellungnahmen einholen und Anhörungen durchführen. Die Vorstellungen der Initiatoren des vorliegenden Gesetzentwurfes, dieses Verfahren bei dem Betreuungsgericht könne zu einer nennenswerten Abkürzung der Sechs-Monats-Frist führen, sind illusorisch und machen demgemäß den Gesetzentwurf unbrauchbar.

Unrealistische Ärztekonsultationen

Dass das angestrebte neue Gesetz nicht praktikabel ist und im Ergebnis daher darauf abzielt, die Anwendung einer Hilfe zur selbstbestimmten Leidensbeendigung in der Praxis zu vereiteln, ergibt sich auch daraus, dass die erforderlichen Feststellungen (nach Paragraf 3 des Selbsttötungshilfegesetzes) von zwei Ärzten getroffen werden müssen und dass einer dieser beiden Ärzte über "die Facharztbezeichnung für Psychiatrie und Psychotherapie" verfügen muss.

Diese Voraussetzungen treffen nur für wenige Ärzte zu. Derzeitig gibt es in der Bundesrepublik 6.094 ambulant tätige Ärzte mit dieser kombinierten Fachärztebezeichnung. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung beläuft sich die Wahrscheinlichkeit, einen so qualifizierten Arzt für die erstrebte ärztliche Begutachtung zu gewinnen, somit auf 0,00007 Prozent. Zwar ist nur ein sehr geringer Teil der Gesamtbevölkerung an der Inanspruchnahme eines solches Arztes interessiert, andererseits sind jedoch nur sehr wenige dieser insgesamt 6.094 Fachärzte aus zeitlichen und sonstigen Gründen bereit, im Sinne dieses Gesetzes tätig zu werden. Damit geht die Wahrscheinlichkeit für einen Sterbewilligen, einen Facharzt mit der vorgeschriebenen ärztlichen Qualifikation zu finden, gegen Null.

Verbot der Suizidhilfe durch die Hintertür

Allein diese beiden Aspekte machen deutlich, dass dieser Gesetzesvorschlag nur darauf abzielt, die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 26. Februar 2020 festgelegte Rechtsposition von Sterbewilligen maßgeblich zu erschweren und dem verfassungswidrigen Paragrafen 217 StGB – gewissermaßen durch die Hintertür – neue Geltung zu verschaffen. Kein Mensch will sterben, wenn er einen für ihn akzeptablen Weg zum Weiterleben sieht. Menschen, die Suizidhilfe beantragen, sind in den weitaus meisten Fällen bereits durch einen langen persönlichen Entscheidungsprozess gegangen und haben sich mit den Alternativen auseinandergesetzt. Sie haben ein Recht darauf, ernst genommen statt entmündigt und mit Bürokratiehürden gegängelt zu werden.

Der ferner vorgeschlagene Paragraf 217a StGB (Werbungsverbot) ist schon aufgrund der Unklarheit seiner rechtlichen Formulierungen gemäß Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz verfassungswidrig. Zu einer solchen Fragestellung haben sich die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages schon im Zusammenhang mit den früheren Verfassungsbeschwerden geäußert.

Praxistauglichkeit und Verfassungsmäßigkeit zwingend notwendig

DIGNITAS-Deutschland fordert alle an der Erarbeitung eines neuen Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe beteiligten Personen auf, jegliche Gesetzesbestimmung auf ihre Praxistauglichkeit und ihre Verfassungsmäßigkeit bezüglich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 zu überprüfen.

Ein Gesetz in der Art, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn es sich wünscht, wäre eines liberalen Rechtsstaats, der seinen freiverantwortlichen Bürgern vertraut, der sie nicht bevormunden möchte, und der nach menschenfreundlichen Prinzipien um die Minimierung von Leid und Elend besorgt ist, unwürdig. Im Zentrum muss der freiverantwortliche Sterbewunsch der betroffenen Person stehen. Diesen von vornherein durch Pflichtberatung, erzwungene Wartezeiten und kaum praktikable psychiatrische Gutachten in Frage zu stellen, ist ein direkter Angriff auf die Entscheidungsfreiheit einer mündigen Person.

Im Übrigen ist Deutschland nicht das erste Land, das sich ein Gesetz geben will zur Regelung des Zugangs zur Suizidhilfe. Die Politik täte gut daran, sich erst einmal mit den Erfahrungen diverser Länder in der gesetzgeberischen und praktischen Umsetzung auseinanderzusetzen – inklusive der bereits seit über einem Jahr auch in Deutschland wieder legal praktizierten Suizidassistenz –, statt erneut durch menschenverachtende gesetzliche Hürden Leiden zu verlängern und damit auch die für die betroffenen Personen und ihr Umfeld zutiefst traumatisierenden Folgen von einsamen und höchst unsicheren Suizidversuchen stillschweigend in Kauf zu nehmen.

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