Heilpraktische Quacksalberei

Kaum ein Artikel in der Geschichte des hpd hat, gemessen an der Zahl an Klicks und Kommentaren, derart hohe Wellen geschlagen wie der Beitrag "Weg mit den Heilpraktikern!" vom 17.12.2018. Nicht nur die für Heilbehandlungen jedweder Art völlig ungenügende Qualifikation der Heilpraktiker wurde in zahlreichen Kommentaren (und bösen Zuschriften an den Autor) bestritten, sondern auch und insbesondere der ungenügende Wirkbeleg der bevorzugt in Heilpraxen eingesetzten Verfahren der "Alternativheilkunde".

Zur Klärung strittiger Fragen und insofern als Beantwortung der kritischen Kommentare und Zuschriften hier ein paar Ergänzungen zu den Verfahren der "Alternativheilkunde". Dazu gleich vorneweg: Alternativheilkunde gibt es bei Lichte besehen überhaupt nicht: es gibt nur wirksame Heilkunde und unwirksame, eine Alternative zur wirksamen wäre die unwirksame. Alternativheilkunde ist insofern synonym zu sehen mit unwirksamer Heilkunde. Ist ein Verfahren wirksam, ist es nicht alternativ.

Gleichwohl setzen immer mehr Menschen auf eben die sogenannten Alternativheilverfahren, wenn sie ein gesundheitliches Problem haben. Sie konsultieren Heilpraktiker und Homöopathen oder verlangen von ihrem Hausarzt, dass er ihnen "sanfte", "natürliche" und in jedem Falle "chemie-" und damit vermeintlich "nebenwirkungsfreie" Heilmittel verschreibe. Aus Apothenkenrundschauen, Goldenes-Blatt-Postillen und Lifestylemagazinen, auch aus Talkshows, in denen irgendwelche TV-Promis von wundersamen Heilerfolgen berichten, sind ihnen dutzende von Alternativheilverfahren geläufig, von Aura-Soma-, Bachblüten- und Cranioskraltherapie hin zu Kinesiologie, TCM oder der sogenannten Zapper-Behandlung nach Hulda Clark. Mehr als 10 Milliarden EUR werden allein in Deutschland jährlich mit Alternativheilverfahren umgesetzt.

Nebenwirkungsfrei?

Die Behauptung, Alternativheilverfahren seien nebenwirkungsfrei, kann nur für die Verfahren gelten, die, wie etwa Bachblüten- oder Edelsteintherapie, überhaupt keine Wirkung haben. Einige der Alternativheilpraktiken können indes durchaus auch Schaden anrichten. Beispielsweise kann es bei niedrigverdünnten Homöopathika (unter D12), in denen noch Wirkstoffanteile enthalten sind, durchaus zu Problemen kommen. Auch andere Verfahren wie etwa die vermeintlich harmlose Aromatherapie sind nicht risikofrei: bestimmte Öle können zu allergischen Reaktionen führen, bei exzessivem Gebrauch gar zu schleichender Leber- und Nierenschädigung. Im Übrigen besteht das Hauptrisiko der alternativen Heilverfahren darin – man kann es nicht oft genug betonen –, dass der rechte Zeitpunkt zum Einsatz einer verfüglichen und sinnvollen Therapie womöglich verzögert oder verhindert wird, wodurch das jeweilige Problem sich massiv verschärfen kann.

Der große Zuspruch, den die Alternativheilkunde erfährt, begründet sich nicht in ihrer besseren medizinischen Wirksamkeit, sondern darin, dass ihre Anbieter sich dem jeweiligen Patienten und seinen Problemen in der Regel sehr viel intensiver zuwenden als Mediziner dies tun. Es ist ein erhebliches Manko des medizinischen Versorgungssystems, dass viel zu wenig Zeit aufgewandt werden kann, dem Patienten wirklich zuzuhören und persönlich auf ihn einzugehen. Ebendeshalb wenden sich rat- und hilfesuchende Menschen gerne an Heilpraktiker, bei denen sie sich alleine schon der zur Verfügung gestellten Zeit wegen sehr viel ernster genommen fühlen als in der regulären Arztpraxis oder Klinik. Die Alternativheilverfahren selbst erscheinen attraktiv, da sie – auch wenn dies nicht zutrifft – als "natürlich wirksam" und damit "nebenwirkungsfrei" angepriesen werden. Der Umstand, dass viele davon auf magische oder sonstig übernatürliche Wirkkräfte abstellen, tut ein Übriges.

Was tun?

Rat- und Hilfesuchende sollten auf der Hut sein, wenn sie vom Heilpraktiker ihrer Wahl eines der folgend aufgelisteten Verfahren angedient bekommen. Die Liste erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, tatsächlich gibt es hunderte "alternativer" Verfahren, die alle eines gemeinsam haben: ihre behauptete therapeutische Wirksamkeit ist durch nichts seriös und überprüfbar belegt. Die meisten Verfahren oder Verfahrenssysteme sind, abgesehen von einem allemal möglichen Placeboeffekt, einfach nur wirkungs- und damit nutzlos (d. h. sind zum Fenster hinausgeworfenes Geld), einige davon können allerdings durchaus auch Schaden anrichten:

Hildegard von Bingen

Hildegard von Bingen wird gern als große Heilerin angesehen. Tatsächlich war die Nonne ein Kind ihrer Zeit und ist damit für die heutige Medizin irrelevant. 

Aderlass / Akupunktur / Anthroposophische Heilkunde / Aromatherapie / Aura-Healing / Aura Soma / Ayurveda / Bach-Blütentherapie / Baunscheidtieren / Bioresonanztherapie / Blutegeltherapie / Cantharidintherapie / Clustermedizin / Craniosakrale Therapie / Edelsteintherapie / Eigenbluttherapie / Farbtherapie / Geist- und Wunderheilung / Germanische Neue Medizin / Hildegard-Medizin / Homöopathie / Isopathie / Kinesiologie / Lichtfasten / Magnetfeldtherapie / Neuraltherapie / Polaritätstherapie / Quantenheilung / Reflexzonentherapie / Reiki / Schröpfen / Schüßler-Salze / Shiatsu / Spagyrik / Therapeutic Touch / Tibetische Medizin / Touch for Health / Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) / Urintherapie / Vitamin C-Megadosistherapie / Zapper-Therapie / Zytoplasmatische Zelltherapie …

Bleiben Sie skeptisch, wenn man Ihnen eines dieser Verfahren anrät oder an Ihnen anwenden will. Das Risiko ist zu groß, dass Sie eine falsche oder irreführende Diagnose erhalten und/oder durch den Einsatz einer der genannten Praktiken der rechte Zeitpunkt zum Einsatz einer verfüglichen und sinnvollen Therapie verzögert oder verhindert wird. Um es nochmal und im Klartext zu wiederholen: Über einen allemal möglichen unspezifischen Placeboeffekt hinaus bewirken die sogenannten Alternativheilverfahren bestenfalls überhaupt nichts; schlimmstenfalls können einzelne davon schweren Schaden anrichten.

Bleiben Sie skeptisch!

Skepsis ist allemal geboten, wenn von "Schwingungen" oder "Lebensenergien" die Rede ist, die da "gemessen", "gesteigert" oder "harmonisiert" werden sollen; desgleichen, wenn das jeweilige Verfahren als "sanfte", "unkonventionelle", "komplementäre", "biologische", "natürliche", "spirituelle" oder sonstig alternative Heil- oder "Erfahrungs"-Heilkunde angepriesen wird, die insofern der "Schulmedizin" turmhoch überlegen – oder zumindest ebenbürtig – und zudem völlig nebenwirkungsfrei sei. In der Regel soll durch derlei Begriffe lediglich verschleiert werden, dass das jeweilige Verfahren durch nichts belegt ist. Insbesondere der in der Szene ständig anzutreffende Begriff der "Ganzheitlichkeit", meist verbunden mit "... von Körper, Geist und Seele", der ein umfassenderes Herangehen suggeriert, als dies die wissenschaftlich abgesicherten Ansätze zu bieten haben, ist reine Phrase.

Verdächtig ist auch, wenn Anbieter stets nur Anekdoten wundersamer Heilungsverläufe vortragen oder Heilsbekundungen begeisterter Patienten zitieren, anstatt seriöse und nachprüfbare Untersuchungen vorzuweisen. Jedenfalls Abstand zu halten ist von Anbietern, die ihre diagnostischen oder heilerischen Fähigkeiten von "höherer Warte" – von Engeln, Jesus, Gott oder aus dem Kosmos – bekommen haben wollen oder die Praktiken verwenden, die die Gesetze von Physik, Chemie oder des "gesunden Menschenverstandes" außer Kraft setzen. Göttliche Heilkräfte und Engelsenergien gibt es nicht, ebensowenig diagnostisch brauchbare Aussagen aus dem astrologischen Horoskop, aus den Tarotkarten, oder solche, die mit Pendel und Wünschelrute oder über Kirlianfotographie gewonnen wurden; auch Aussagen, die aus den Handlinien oder der Regenbogenhaut des Patienten gewonnen wurden – die sogenannte Irisdiagnose –, sind unbrauchbar.

Grundsätzlich ist von Verfahren abzuraten, die sich bislang einer ernsthaften Wirksamkeitsüberprüfung entzogen haben beziehungsweise keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis vorlegen können. In der Tat fehlt für die oben angeführten Verfahren jeder stichhaltige Wirkbeleg. Entsprechende Untersuchungen wurden von ihren Befürwortern entweder nie angestellt oder aber in quantitativ und/oder qualitativ nur unzureichendem Maße. Unabhängige Überprüfungen außerhalb des jeweiligen Bezugsrahmens fielen durchwegs alles andere als überzeugend aus. Jenseits von Placebo gibt es nicht den geringsten seriösen Wirkbeleg!

Wer heilt hat recht?

Auch das vielzitierte Schlagwort "Wer heilt hat recht" kann nicht zur Bestätigung der Alternativheilverfahren herangezogen werden. Tatsächlich heilen diese – über besagten Placeboeffekt hinaus – gar nichts. Vielmehr beruhen die ständig angeführten "Erfolge" der alternativen Methoden in der Regel darauf, dass unterschiedlichste Beeinträchtigungen der Gesundheit – ein grippaler Infekt etwa – nach einer Zeit "von selbst" wieder verschwinden, ohne dass sie in irgendeiner Weise behandelt worden wären. Menschen mit derlei Beeinträchtigung suchen häufig "alternative" Heiler auf, die dann, ebenso wie sie selbst, natürliche oder spontane Heilungsverläufe beziehungsweise zyklische Besserungen als Ergebnis der jeweiligen "Behandlung" interpretieren. Da die alternativen Verfahren einen Heilerfolg stets nur "langfristig" in Aussicht stellen, kann eine "irgendwann" eintretende Besserung allemal der jeweiligen Behandlung zugute geschrieben werden, auch wenn diese mit dem Heilungsverlauf überhaupt nichts zu tun hat. Es ist dies so, auch wenn gläubige Anwender das ganz anders sehen und Stein und Bein schwören, dass das jeweilige Verfahren ihnen geholfen habe.

In diesem Zusammenhang spielen auch Realitätsverzerrungen eine Rolle: selbst wenn keine objektive Verbesserung nachweisbar ist, können Anhänger alternativer Heilverfahren sich selbst davon überzeugen, dass ihnen geholfen wurde, auch wenn sich tatsächlich nichts getan hat, allein, weil sie sich besser fühlen (was in sich ein wichtiger Genesungsfaktor sein kann, was aber mit dem angewandten Heilverfahren nichts zu tun hat, vielmehr eher in die Placebo-Kategorie fällt).

Keine Besserung zu erhalten, nachdem man viel Zeit, Geld und guten Glauben in eine alternative Behandlung investiert hat, vielleicht auch in die dahinterstehende Weltanschauung, erzeugt großen psychologischen Druck, an die Stelle des ausbleibenden Erfolges einen solchen zu konstruieren, alleine schon um das ansonsten notwendige Eingeständnis zu vermeiden, dass alles nutzlos und verschwendete Zeit war und man irgendeinem Quacksalberverfahren aufgesessen ist. Wider jede Vernunft und vielfach mit nachgerade fanatischem Glaubenseifer – Stichwort: Kognitive Dissonanz – wird jede Kritik und Selbstkritik abgewehrt, um auf diese Weise selbst das unsinnigste und absurdeste Verfahren vor sich selbst und anderen rechtfertigen zu können. Oftmals werden Alternativheilverfahren auch mit großer Aggressivität verteidigt, gegen jedes noch so vernünftige Argument, ganz so, als handle es sich um fundamentalreligiöse und mit Tabu besetzte Glaubensdogmen.

Dass diejenigen, die ihr trübes Geschäft machen damit, rat- und hilfesuchenden Menschen untaugliche Heilverfahren anzudrehen, ihre Praktiken mit Allgewalt und großem Geschrei verteidigen, bedarf ohnehin keiner weiteren Erörterung.

Zu erwähnen sind an dieser Stelle auch alternativheilerische Präparate und Nahrungsergänzungsmittel, die vielfach in Eigenregie eingesetzt werden: Entgegen aller Werbeverlautbarungen gibt es keinerlei seriösen Wirknachweis für Wunderprodukte aus oder mit Bestandteilen von Aloe Vera (Wüstenlilie), von Boswellia (Weihrauch), Chlorella (Süsswasseralgen), von Flachskeimen, Gelbwurz, Gelee Royale, Ginseng, Grapefruitsamen, Grüntee, Ingwer, Kombucha-(Teepilz), Muschelextrakten, Papaya, Nachtkerzenöl, der polynesischen Wunderfrucht Noni, von Schwarzkümmel, Spirulina-(Mikroalgen), Teebaumöl oder Weintraubenkernen. Auch die vielgerühmten Echinazea-Präparate, hergestellt aus dem Roten Sonnenhut, fallen in diese Kategorie. Das gleiche gilt für die behaupteten Wunderwirkungen von Aminosäuren, L-Carnitin (ein Vitamin-B-Derivat), Omega-3-(6)-Fettsäuren, Karotinoiden, Pflanzenenzymen (Cellulase) oder von Megadosen Vitamin C oder E. Ebensowenig belegt ist die angebliche Wirksamkeit von sogenanntem energetisiertem Wasser, von Silberkolloiden oder Tachyonenprodukten.

Quacksalbververfahren auch in Arztpraxen und Kliniken?

Zuletzt gilt der warnende Hinweis, dass die benannten Verfahren der sogenannten Alternativheilkunde nicht brauchbarer werden dadurch, dass sie vielfach auch in Arztpraxen, Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen anzutreffen sind, und dass einige davon sogar in die offizielle Aus- und Fortbildung von Ärzten Eingang gefunden haben. Ganz abgesehen davon, dass sie vielfach, um nicht zu sagen: flächendeckend, auch über Volkshochschulen propagiert werden.

Und zu allerletzt, damit es nicht ungesagt bleibt, auch wenn es ohnehin selbstverständlich ist: Gegen die Quacksalberverfahren der sogenannten Alternativheilkunde zu sein, heißt keineswegs, der evidenzbasierten Medizin oder der Pharmaindustrie blind zu vertrauen. Ganz im Gegenteil: Kritik ist auch und gerade hier unabdingbar, nicht zuletzt vertrauen viele Menschen den Pseudoverfahren der Alternativheiler- und Heilpraktikerszene gerade deshalb, weil sie mit dem herrschenden Gesundheitswesen, dem Diktat von Mediziner- und Pharmalobby, zutiefst misstrauen. In der Tat bürgt eine Approbation als Arzt nicht notwendigerweise für fachliche Kompetenz und ethische Integrität. Schulmedizin und Pharmaindustrie kritisch zu sehen darf aber auch nicht heißen, medizinisch völlig unzureichend qualifizierten Heilpraktikern mit ihren erwiesenermaßen unbrauchbaren Alternativheilverfahren den Vorzug zu geben.