DGHS-Mahnwache in Berlin

"Jederzeit muss jeder Mensch gehen können, wenn er es für notwendig und für angebracht hält"

Zum Welttag des Rechts auf ein selbstbestimmtes Lebensende veranstaltete die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben gestern eine Mahnwache vor dem Brandenburger Tor. Damit wollte die Patientenschutz- und Bürgerrechtsorganisation auch die künftige Bundesregierung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erinnern, das lediglich die Freiverantwortlichkeit als Bedingung für die Inanspruchnahme von Suizidbeihilfe festgestellt hatte.

Beppo Küster hat sich schon einmal selbst erhängt. Mit der drastischen Aktion wollte der Entertainer aus der ehemaligen DDR, angeleitet durch einen Stunt-Experten, auf die Paradoxie der damals noch geltenden Sterbehilfegesetzgebung hinweisen, die einem Menschen, der sein Leben nicht mehr als lebenswert empfindet, das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in menschenwürdiger und schmerzfreier Weise durch professionelle Hilfe verwehrte, und ihn stattdessen zwang, gewaltsam in den Tod zu gehen. Seit mittlerweile fast eineindreiviertel Jahren ist Paragraph 217 StGB nun Geschichte, abgeschmettert durch das Bundesverfassungsgericht, eine neue Regelung gibt es bisher nicht. Anlässlich des Welttags des Rechts auf ein selbstbestimmtes Lebensende (World Right to Die Day) veranstaltete die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) daher parallel zu vergleichbaren Veranstaltungen in anderen Ländern am selben Tag eine Mahnwache am Brandenburger Tor, um auch den neuen Bundestag an das Urteil des höchsten deutschen Gerichts zu erinnern und an ihn zu appellieren, Augenmaß walten zu lassen, sollte dieser eine Neuregelung für erforderlich erachten. Neue restriktive Hürden wie eine Beratungspflicht lehnt die DGHS ab.

Neben Küster sprach auch Philipp Möller vom Zentralrat der Konfessionsfreien: "Sterben müssen wir alle", das gelte weltanschauungsunabhängig für alle Menschen dieser Welt. Die allerletzte Entscheidung über das eigene Leben treffe ein weltanschaulich neutraler Staat nicht. "Wer sein Leben in die Hände Gottes gelegt hat und auch sein Sterben in die Hände Gottes legen will, dem muss dies möglich sein. Wer aber mit der Hilfe anderer Menschen sterben will, muss auch dies dürfen." Die jetzige rechtliche Lage zwinge niemanden zum selbstbestimmten Sterben, aber sie ermögliche es allen Menschen gleichermaßen. "Es ist schwer, über das Sterben zu reden, aber wir machen uns das Leben noch schwerer, wenn wir es nicht tun."

Ursula Bonnekoh, Mitglied des DGHS-Präsidiums, verwies in ihrem Redebeitrag darauf, dass immer mehr Sterbehilfeorganisationen weltweit in ihren Ländern erfolgreich seien, nachdem die Schweiz und Oregon gute Erfahrungen damit gemacht hätten, Freiheitsrechte am Lebensende zuzulassen. Mit dem Urteil vom 26. Februar 2020 habe der liberale und säkulare Rechtsstaat seine Stärke bewiesen, seitdem könnten Bürgerinnen und Bürger auch in Deutschland wieder von ihrem Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens Gebrauch machen, die Freitodbegleitung sei in Deutschland heute bereits wieder gelebte Praxis. "Wir können stolz sein auf unsere Verfassung, die unsere Rechte schützt." Man appelliere an die Bundesregierung "dieses zarte Pflänzchen neu gewonnener Freiheit zu hüten und die Entwicklung abzuwarten, ob überhaupt eine gesetzliche Neuregelung notwendig ist". Es solle bald ein Ruck durch das Gesundheitsministerium gehen, hier setze man seine Hoffnung auf die zukünftige Bundesministerin oder den Minister, damit das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017, das ein Ende der Blockade des Zugangs zu Natrium-Pentobarbital fordert, endlich befolgt werde. Daher gehöre eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes zu den dringend zu erledigenden Aufgaben der neuen Bundesregierung.

Im Anschluss konnten weitere anwesende Personen für einen Film der Dachorganisation World Right to Die Federation kurze Statements abgeben: Florian Willet von DIGNITAS Deutschland ging auf vorliegende Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidbeihilfe aus der nun zu Ende gegangenen Legislaturperiode ein, die allesamt inakzeptable Einschränkungen enthielten. Den Einwand, dass auf Menschen Druck ausgeübt werden könnte, um sie zur Inanspruchnahme von Sterbehilfe zu drängen, nannte er "absurd". Das Unter-Druck-Setzen anderer bei der Entscheidung über ihr Lebensende erfülle Tatbestände des Strafrechts, darüber hinaus brauche es keine Regulierung. Eine Frau verwies auf Artikel 1 des Grundgesetzes und gab an, dass Sterbefasten nicht ihrer Vorstellung von Würde entspreche. "Warum können wir nicht (…) darauf vertrauen, dass Menschen, wenn sie etwas wollen, sich das auch genau überlegt haben?", fragte eine andere. Auch ein evangelischer Pfarrer meldete sich zu Wort: "Jederzeit muss jeder Mensch gehen können, wenn er es für notwendig und für angebracht hält." Eine Frau, die ihren Vater zu seinem selbstgewählten Ende begleitet hat, sagte, sie habe gelernt, was "in Liebe loslassen" bedeute.

Beppo Küster hatte es in seinem Redebeitrag zu Beginn bereits so auf den Punkt gebracht: "Wir machen (…) so lange weiter (…), (…) bis es ganz normal wird, dass ich zu meinem Arzt sage: 'Herr Doktor, bitte meine letzte Pille.'"

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