Gestern übergab Angela Merkel das Bundeskanzleramt an Olaf Scholz. Nach seiner Wahl im Parlament und seiner offiziellen Ernennung durch den Bundespräsidenten wurde er vereidigt – und verzichtete dabei wie auch fast die Hälfte der Kabinettskolleg:innen auf die religiöse Eidesformel.
"So wahr mir Gott helfe" – diesen religösen Schwur hatten bis auf Gerhard Schröder alle Amtsvorgänger von Olaf Scholz geleistet. Es entspricht gar der "Standardversion" der im Grundgesetz vorgeschriebenen Formel, die mit dem Hinweis versehen ist, dass die Gottesbekundung weggelassen werden kann. Davon machte der evangelisch getaufte und aus der Kirche ausgetretene frühere Hamburger Bürgermeister Gebrauch.
Doch nicht nur der frisch gebackene Bundeskanzler verzichtet bei seiner Amtsausübung auf die Unterstützung eines göttlichen Wesens: Acht von den insgesamt 17 Mitgliedern des ebenfalls ernannten und vereidigten Kabinetts taten es ihm gleich und beschränkten sich auf ein "Ich schwöre es". Darunter alle Ministerinnen und Minister der Grünen: Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (konfessionsfrei), Außenministerin Annalena Baerbock (evangelisch), Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (der sich selbst als säkularer Muslim bezeichnet), Familienministerin Anne Spiegel und Umweltministerin Steffi Lemke (beide ohne Kirchenbindung).
Bei der FPD war es genau andersherum – hier schworen alle Kabinettsmitglieder auf Gott (die Katholiken Marco Buschmann – Justiz und Bettina Stark-Watzinger – Bildung sowie der Protestant Volker Wissing – Verkehr) – einschließlich Finanzminister Christian Lindner, obwohl dieser kein Kirchenmitglied ist.
Unter den SPD-Ministern ging es weniger einheitlich zu: Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt handhabte es wie sein Chef, auch die nicht formal religiöse Entwicklungsministerin Svenja Schulze nutzte die Berufung auf Gott nicht. Der aus Bestürzung über den Missbrauchsskandal aus der katholischen Kirche ausgetretene Gesundheitsminister Karl Lauterbach hingegen machte von der religiösen Formel Gebrauch, ebenso die katholische Innenministerin Nancy Faeser, der Protestant Hubertus Heil (Arbeitsminister), Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Bauministerin Klara Geywitz (beide evangelisch).
Neben einem konfessionsfreien Kanzler und mehreren Minister:innen ohne religiöses Bekenntnis gibt es auch im Parlament eine kleine Entwicklung in Richtung gesellschaftlicher Realität, der zufolge in nicht allzu ferner Zukunft die Hälfte der deutschen Bevölkerung religionsfrei sein wird: Der Anteil der konfessionsfreien Abgeordneten stieg auf 10 Prozent, der christlicher blieb im Vergleich zur vorangegangenen Wahlperiode insgesamt weitgehend gleich und liegt nicht allzu weit entfernt von der Quote der Katholiken und Protestanten an der Bevölkerung. Das geht aus einer Statistik hervor, die der Bundestag Ende letzter Woche veröffentlichte. Ein Plus gab es auch bei muslimischen und anderweitig gläubigen Abgeordneten: Sie machen nun 1 beziehungsweise 1,1 Prozent aus. Der Anteil der Atheist:innen stieg wieder leicht auf 0,3 Prozent. Ein Drittel der Volksvertreter:innen macht gar keine Angaben zum religiösen Bekenntnis.
26 Kommentare
Kommentare
Stefan Dewald am Permanenter Link
Das ist nicht richtig. Gerhard Schröder war der erste: https://www.tagesspiegel.de/politik/so-wahr-mir-gott-helfe-war-einmal-das-kabinett-der-konfessionslosen-was-folgt-daraus/27874024.html
Gisa Bodenstein am Permanenter Link
Bitte genau lesen: Gerhard Schröder war der erste, der nicht auf Gott schwor (so steht es auch oben im Artikel). Konfessionsfrei war er aber nicht.
Andres Zaugg am Permanenter Link
Was Politiker*innen glauben ist mindestens so wichtig wie die restliche Bildung. Danke für diese Information.
Wolf Sieberichs am Permanenter Link
Na ja, formal richtig ist der Artikel schon, aber völlig irreführend, denn Scholz ist ja nun schon der vierte konfessionslose Kanzler.
Gut, die waren nicht „Bundeskanzler” sondern „Reichskanzler”, aber es ist wirklich schade, dass selbst der HPD diesen geschichtsverzerrenden Eindruck weiterverbreitet, als ob wir zuvor noch nie einen Regierungschef hatten, der nicht Kirchenmitglied war.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das ist ja mal 'ne tolle Ansage.
Aber, nur der Form halber, konfessionsfrei, nicht -los. Bitte.
Wolf Sieberichs am Permanenter Link
Nee, tut mir leid. Ich finde nämlich „konfessionslos” zu sein genauso toll wie „furchtlos” zu sein. Das lasse ich mir nicht nehmen.
René am Permanenter Link
Danke. Gut gekontert. Ich finde dieses zwanghafte Festkrallen am -frei statt -los völlig nutzloses Geplänkel. Irgendjemand aus "unseren Kreisen" hatte wohl mal diese Fixe Wort-Idee.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Na das lässt doch hoffen, dass sich in der Kirchenrepublik Deutschland langsam die Vernunft an die Realität annähert und wir auch noch erleben dürfen, dass die Weimarer
Die Kirchen sind in den 102 Jahren nach der Weimarer Verfassung und nach den 70 Jahren nach dem GG königlich belohnt worden und haben uns zum Dank tausende von traumatisierten, ehemaligen Kindern, welche von den Kirchenmitarbeitern missbraucht wurden, hinterlassen.
Von den Millionen von Menschen, welche in den Jahrhunderten zwischen 1200 und 1600
von den Kirchen ermordet und grausamst hingerichtet wurden, weil diese nicht an den Unsinn der Kirchen glauben wollten oder konnten, redet ja sowieso niemand mehr, davon will die RKK auch nicht mehr wissen.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Es wäre schön zu wissen, wie viele haben die religiöse Eidesformel auch ernst gemeint. Darüber hinaus es ist die höchste Zeit die Formel in "So wahr die Göttinnen und Götter mir helfen" zu ändern.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Zuerst die Formel ändern damit alle zufrieden sind und dann sie komplett weglassen, da sowieso nichts bedeutet.
Roland Weber am Permanenter Link
Man muss die Formel "So wahr mir Gott helfe" nur richtig lesen - als Bedingung! Ein Vorbehalt, für den Fall, wenn Gott mir nicht hilft. Dann ist der Schwur selbstverständlich ebenfalls hinfällig.
Andre am Permanenter Link
Zynischer Sarkasmus? In Anlehnung ans religiöse Faktenverdrehen, um den eigenen Aberglauben nicht zu gefährden bzw. dem Zustand kognitiver Dissonanz auszuweichen?
Bruder Spaghettus am Permanenter Link
Mir war schon vorher klar, Klara Geywitz wird als ehemalige religionspolitische Sprecherin der SPD Brandenburg die Götterformel gebrauchen.
Ein dreifach Hoch auf ihren Aberglauben. :)
https://youtu.be/IRMeWP8cTAw
Jürgen Höder am Permanenter Link
Interessante Diskussionen hätte es geben können, wenn Özdemir religiös wäre und gern eine Gottesformel benutzt hätte.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Na und? Scholz war als Juso auch mal antikapitalistischer NATO-Kritiker - also nicht überbewerten, bevor er nicht mehr vor dem Klerus katzbuckelt! Ähm, was sagt eigtl.
Oliver Tausend am Permanenter Link
Ich verstehe den Satz „So wahr mir Gott helfe“. Er ergibt sprachlich und grammatikalisch überhaupt keinen Sinn.
Roland Schütze am Permanenter Link
Der Wortlaut der Eidesformel, den die US-amerikanischen Präsidenten bei Amtsantritt aufzusagen verpflichtet sind, ist in der Verfassung der Vereinigten Staaten festgelegt.
Andre am Permanenter Link
"So wahr" ist ein Eigenbegriff - auch im Duden gelistet - als Bekundung, die Wahrheit zu sprechen. Als Garant wird auf "Gott" verwiesen.
Martin Heller am Permanenter Link
Ich hatte auch dieses Verständnisproblem und mit viel Googeln endlich eine Erklärung gefunden. Mittelhochdeutsch lautete die Formel ungefähr "Joch, sam mir got helfe" oder auch nur "sam mir got".
>>So kann in bestimmten Fällen auch 'wenn' bedeuten und helfe ist Konjunktiv, "Möglichkeitsform", denn zunächst ist Gottes Hilfe ja nur ein Wunsch. Später wurde die alte Formel nicht mehr verstanden und mit der Beteuerung "so wahr (ich hier stehe)" vermischt.<<
Roland Weber am Permanenter Link
Das Problem ruht eben daher, dass "echte" Gläubige darin keine Bedingung sehen, weil ja alles unter göttlichem Einfluss steht. Er ist ja für alles zuständig.
Das "So" ist eben doch ein "Wenn" - wenn man eben nicht diesen Glauben teilt. Ich kann deshalb nur jedem Säkularen in kritischen Fällen raten zu schwören: So wahr mir Gott helfe! - Wenn's Ergebnis nicht passt, hat dieser Gott merkwürdigerweise eben nicht geholfen! Damit ist der Eid einfach nicht eidestauglich!
Vor Jahren hat in NRW eine Muslimin im Parlament ebenfalls mit einem "So wahr mir Gott helfe" geschworen. Taugt die Eidesformel gar für alle Monotheisten? Sind Gott und Allah eins?
Mit "Gott" war es noch nie einfach. Schließlich schweigt er zu allem und kein einziger Text stammt von ihm.
A.S. am Permanenter Link
Lindner schwört auf Gott? Ich bin enttäuscht.
Stark-Watzinger schwört auf Gott? Der Quatsch namens "Christliches Menschenbild" wird wohl im schulischen Bildungskanon bleiben. Es wäre richtiger, man würde unseren Kindern beibringen, dass der Mensch ein rudelbildendes Raubtier ist. DAS wäre ein zutreffendes, wissenschaftlich überprüfbares Menschenbild.
Buschmann schwört auf Gott? Die Abschaffung von §166 StGB wird im Justizministerium keine Chancen haben.
Der Transparenz halber: Ich bin Mitglied der FDP.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Parteimitgliedschaften kann man ändern, das eingetrichterte festhalten an einen imaginären Gott nur schwer.
Jürgen Becker am Permanenter Link
Und ich hatte die Herrschaften von der FDP für intelligente Menschen gehalten und gewählt. Umso entsetzter war ich, als ich im Fernsehen miterleben musste, dass alle FDP-Minister den Gottesbezug zu ihrem Eid nahmen.
Jochen Beck am Permanenter Link
Wenn Lindner die Formel benutzt hat, obwohl er nicht einer Kirche angehört, muss das nicht bedeuten, dass er sich zum Christentum bekennt.
Ich hatte schon oft den Eindruck das Lindner sich in Ideengeschichte einigermaßen auskennt. Allerdings sollte er dann auch wissen, dass diese Vernunftreligons-Konzepte nicht tragen. Mir wäre es lieber, er hätte sie nicht verwendet.
Die Menschenrechtserklärung der französischen Revolution (26.08.1789) hatte auch noch einen Gottesbezug. Der wurde aber bewusst nicht christlich gehalten. Gemeint war Gott im Sinne des Deismus, welcher mit einer Ablehnung der Offenbarungsreligionen einherging. Es wurde dann immer vom „Höchsten Wesen“ gesprochen. 1948 war so was nicht mehr dabei.
Werner Koch am Permanenter Link
Scholz ist zwar aus der Kirche ausgetreten, aber schmeichelt der Kirche. Er ist kein Kirchenkritiker, sondern um ein gutes Verhältnis bemüht.
Siehe Bericht im Sonntagsblatt
Olaf Scholz mag etwas spröde und trocken wirken, als Bundeskanzler wird er direkt mit seinem Amtsbeginn für ein absolutes Novum sorgen. Scholz ist der erste konfessionslose Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Vor einigen Jahren ist er aus der Evangelischen Kirche ausgetreten.
Nun bedeutet konfessionslos aber keineswegs atheistisch. Scholz betont immer wieder, wie ihn Glaube und Kirche geprägt haben.
"Als Politiker trete ich dafür ein, dass wir die christliche Prägung unserer Kultur wertschätzen", sagte er etwa der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA). Die Kirche habe ihm ein Wertegerüst mitgegeben, das ihm wichtig sei und nach dem er auch seine Entscheidungen ausrichte, so Scholz weiter.
Und noch mehr: Ob man die Grundlage unseres Zusammenlebens Solidarität nenne oder christliche Nächstenliebe, mache für ihn keinen Unterschied.
Wie Scholz die Rolle der Kirche sieht
Welche gesellschaftliche Rolle der neue Bundeskanzler den Kirchen zuordnet, hat er bereits in seiner Zeit als Bürgermeister in Hamburg deutlich gemacht. Bei einem Vortrag über die Rolle der Religionen sagte Scholz 2015 unter Berufung auf den Philosophen Immanuel Kant, in einem säkularen Staat hätten Religionsgemeinschaften die Aufgabe, für sozialen Zusammenhalt zu sorgen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften seien somit für den "Kitt der Gesellschaft" zuständig.
Bei einem Treffen mit dem Interreligiösen Forum erklärte Scholz 2017 zudem, auch wenn der Staat religiös neutral sei, setze er auf die Mitarbeit der Religionsgemeinschaften. Sie hätten eine wichtige Rolle im Sozialen, in Bildung und Erziehung und in der öffentlichen Meinungsbildung.
Jochen Beck am Permanenter Link
Wenn jemand will, dass wir "die christliche Prägung unserer Kultur wertschätzen" kann er trotzdem Atheist sein. Konfessionsfreiheit und gleichzeitiger Verzicht auf die Formel deutet darauf hin.
Ich frage mich, allerdings woher Scholz die Einschätzung Kants hernimmt. Der nannte das Christentum eine „um der Schwachem Willen, zu duldende Anstalt“. Hinsichtlich der Geistlichen und der Rituale sprach er von „Pfaffentum“ und „Afterdienst“. Das Gebet zu Gott nannte er eine unwürdige Handlung.“