100 Jahre Waldorfschule 2019:

Staatlich anerkannte Reinkarnation

Mit einem skurril anmutenden Dialog beginnt ein Artikel, in dem der Autor klarstellt, wie abwegig die Glaubenslehren sind, nach denen in Waldorfschulen gelehrt wird. Umso unverständlicher, dass diese Schulen staatlich unterstützt werden.

"Warum liest man ein Märchen von 'Novalis', dem Romantiker?", frage ich.

Achselzucken.

"Weil 'Novalis' eine Reinkarnation von 'Johannes dem Täufer' ist, wie 'Raffael', der Maler. Die Inkarnationsfolge ist, in der Kurzfassung, an die lange Version erinnere ich mich gerade nicht: Johannes der Täufer, Raffael, Novalis." 1

"Woher weiß er das?!", fragt mein Freund.

"Er hat einen direkten Draht zur 'Geistigen Welt'", antworte ich.

Sprachloses Fragezeichen.

"Als Einziger. Nur er kann in der 'Akasha-Chronik' 2 lesen, einem geistigen Weltengedächtnis in der 'Ätherwelt', in dem alle Ereignisse der Geschichte, alle Taten, Worte und Gedanken der Menschheit enthalten sind."

"Was ist das denn? Kann man das glauben? Auf sowas reinfallen?!", bricht er hervor.

"'Glauben' kann man viel. Aber dass das 'staatlich anerkannt' ist, ist der entscheidende Punkt: dass jemand im Hinterhof eine obskure 'Privatuniversität' gründet, läßt sich kaum verhindern, aber eine 'staatliche Anerkennung' ist etwas anderes …"

"Er" ist der erfolgreichste Hellseher der Neuzeit, Rudolf Steiner (1861–1925), und Novalis wurde an der staatlich anerkannten, anthroposophischen "Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft" gelesen, bei einem der "Thementage Menschenkunde", die ich – allgemein – am 29. Mai 2018 beim Humanistischen Pressedienst vorstellte.

Mittlerweile ist in der "Erziehungskunst", Zeitschrift des "Bundes der Freien Waldorfschulen", ein "Tagungs"-Bericht einer Teilnehmerin3 erschienen, Zitat:

"Die Professoren Jost Schieren (Leiter des 'Instituts für Schulpädagogik und Lehrerbildung’ im Fachbereich Bildungswissenschaft) und Wolf-Ulrich Klünker gestalten die Tage, halten die Vorträge und Einleitungen und leiten die Gespräche (…) und zeigen dabei, wie authentisches spirituelles Leben mit aktuellem Realitätsbezug aussehen kann."

Beim Thementag "Reinkarnation und Schicksal" am 21. April 2018 wurde Novalis gelesen, "Die Geschichte von Hyazinth und Rosenblütchen". Dieses Märchen kann als die Quintessenz von Novalis’ Romanfragment "Die Lehrlinge zu Sais" angesehen werden, es zeigt das "romantische Triadenmuster": Ausgangspunkt ist ein alter, einfacher Naturzustand, in dem die Natur noch verständlich war. Darauf folgt ein Zeitalter der Entfremdung von Mensch und Natur. Der dritte Teil ist die mögliche Wiederkehr eines "Goldenen Zeitalters", die Wiederherstellung des Urzustandes auf einem höheren Niveau. Es wird somit eine Spiralbewegung vollzogen. Eine gute Inhaltsangabe findet sich bei Wikipedia, für die ganz "spezielle" Atmosphäre empfiehlt sich der kurze Originaltext.

Im Tagungsbericht der Teilnehmerin liest sich das fast noch "blumiger" als im Novalis-Original, nicht erwähnt wird bei ihr aber Hyazinths traumhafte Initiation im "Tempel der Isis" – Isis, die mit Rosenblütchen eins wird …

Dafür kommt, was bei einer Anthroposophin kommen muss, Zitat Teilnehmerin:

"Wodurch kann eine neue Verbindung mit der Welt und mit dem anderen Menschen errungen werden? Dies ist eine Frage für den einzelnen Menschen wie auch für die Menschheit in unserer Zeit – es ist gleichzeitig die entscheidende Frage der Anthroposophie: 'Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte', so schreibt Rudolf Steiner 1924 im ersten anthroposophischen Leitsatz.

Welche Wege führen zu diesem Ziel?

Steiner zeigt bereits in seiner "Philosophie der Freiheit" von 1894, wie das Denken in der Lage ist, sich so zu erkraften, dass es unmittelbar Geistiges erkennen und erfahren kann. Dadurch wird die Verbindung meines individuellen Selbstes mit der Welt wieder hergestellt. Je mehr das Denken sich mit Gefühl und Willen durchdringt, je mehr wird es zur Weltenkraft, die fähig ist, den Menschen auch in die Dimension von Reinkarnation und Karma hineinzuführen."

Steiner ist als "Philosoph"4 so gut wie als "Hellseher" – man muss nur dran glauben, und das fällt doch gleich viel leichter, wenn es "staatlich anerkannt" ist.


  1. Pinehas – Elias – Johannes der Täufer – Raffael – Novalis – Herman Grimm

    Diese Inkarnationsfolge wird angegeben in: Rudolf Steiner, "Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge", Erster bis fünfter Band (GA 235–239), Rudolf Steiner Verlag, Dornach

  2. ein Artikel über das gleichnamige Buch: "Rudolf Steiners rassistischer Science-Fiction-Trash: Aus der Akasha-Chronik", Humanistischer Pressedienst, 5.1.2015, https://hpd.de/artikel/10883 ↩︎
  3. "Thementage Menschenkunde" an der Alanus Hochschule in Alfter“ – https://www.erziehungskunst.de/artikel/waldorf-weltweit/thementage-menschenkunde-an-der-alanus-hochschule-in-alfter/ – Abruf am 6.8.2018 ↩︎
  4. "Rudolf Steiner, 'Philosoph'?", Ratgeber-News-Blog, 1.12.2014, https://ratgebernewsblog2.wordpress.com/2014/12/01/rudolf-steiner-philosoph/ ↩︎