AfD-Wähler und Humanisten

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Weshalb wählen konfessionslose Menschen überdurchschnittlich häufig rechtspopulistische Parteien? Was unterscheidet Atheisten und Humanisten und wirkt sich das auf das Wahlverhalten aus? Diese Fragen besprach hpd-Chefredakteur Frank Nicolai mit dem Soziologen und Extremismus-Experten Armin Pfahl-Traughber.

hpd: Herr Pfahl-Traughber, Sie haben bei Ihren Analysen zur AfD-Wählerschaft (u. a. auf dem Internetportal "Blick nach rechts") betont, dass überdurchschnittlich viele Konfessionslose in diese Richtung votieren. Können Sie das genauer erklären?

Armin Pfahl-Traughber: Genauer erklären, zumindest auf Basis von entsprechendem Datenmaterial, kann man dies leider nicht, denn es fehlt an diesem Datenmaterial. Aber zunächst zum Sachverhalt selbst: Während die Katholiken und Protestanten meist nur durchschnittlich in der Wählerschaft der AfD vertreten sind, sind es Konfessionslose eben überdurchschnittlich.

Dazu zwei Ergänzungen: Das war bei der NPD-Wählerschaft in den 2000er Jahren in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen ebenso. Und: Es liegt nicht an den ostdeutschen Ländern, wo bekanntlich sowohl die Anzahl der Konfessionslosen wie die Anzahl der Wähler rechtsextremistischer Partei weitaus höher als in den westdeutschen Ländern ist. Auch in Hessen oder Nordrhein-Westfalen bildeten die Konfessionslosen bei den AfD-Wählern eine überdurchschnittlich große Gruppe.

Welche Gründe gibt es dafür? 

Dazu können gegenwärtig nur Hypothesen formuliert werden: Zunächst einmal nur zur Klarstellung, es geht um Konfessionslose, diese müssen weder Atheisten noch Humanisten sein. Warum eine Person aus der Kirche austritt, kann unterschiedliche Gründe haben. Sie können schlicht materiell – Stichwort: keine Kirchensteuer zahlen –, aber auch politisch – Stichwort: Positionen der Kirchen – motiviert sein. Es ist ja erfreulich, dass sowohl die Führung der evangelischen wie der katholischen Kirche eine klare Distanzierung von der AfD, vom Rassismus und vom Rechtsextremismus vornimmt. Dies war in der Geschichte bekanntlich nicht immer so. Einschlägig eingestellte Personen dürften daher auch mit den Kirchen insofern ihre Probleme haben. Ein anderer Gesichtspunkt, der hier eine Rolle spielen könnte, besteht darin, dass Konfessionslose auch konfessionslos aus schlichter Ablehnung und Distanz gegenüber etablierten Institutionen sein können. Dazu würden dann ebenfalls die Kirchen gehören.

Nun lässt sich ja eine atheistische Einstellung nicht als politisches Statement verstehen. Insofern sagt es erst einmal nicht sonderlich viel über eine politische Positionierung aus, wenn sich jemand selbst als Atheist bezeichnet. Glaubensfern zu sein ist weder links noch rechts. Oder sehen Sie das anders?

Ja, das würde ich auch so sehen wollen. Lange stand eine atheistische Auffassung tatsächlich eher für eine liberale bis linke Auffassung, was aber nicht immer der Fall sein muss. Atheismus heißt ja lediglich, dass man die Existenz eines Gottes oder von Göttern abstreitet. Auch eine rassistische oder sozialdarwinistische Auffassung kann damit einhergehen. Mitunter haben Anhänger derartiger Auffassungen auch das Christentum abgelehnt, wobei sie es als Ausdruck der Hilfe für Schwache und wegen der postulierten Gleichheit vor Gott negierten. Manche sahen sogar im Christentum aufgrund eben dieses Gleichheitsideals – das aber nur auf die religiöse, nicht auf die gesellschaftliche Ebene bezogen war – einen "Bolschewismus der Antike". Indessen sind wiederum die meisten Anhänger derartiger Auffassungen keine Atheisten im engeren Sinne, treten sie doch für ein "Heidentum" als Glaubensalternative oder für einen nationalistischen Schicksalsglauben ein.

Armin Pfahl-Traughber, Foto: privat
Armin Pfahl-Traughber, Foto: privat

Hingegen ist die Selbst- oder Fremdbezeichnung als "Humanist" eher auch als politisches Statement zu bewerten. Stimmen Sie mir auch dabei zu?

Ja, auch hier würde ich zustimmen. Dabei kommt es aber ganz darauf an, was man genau unter einem Humanisten versteht. Wenn damit nur gemeint ist, dass es um eine primäre Orientierung am Menschen und eben nicht an einem Gott geht, könnten hiermit auch diktatorische Konsequenzen mit sowohl "linken" wie "rechten" Vorzeichen verbunden sein. Atheismus und Humanismus müssen ja nicht übereinstimmen, es gilt gerade aus politischer Perspektive, die Unterschiede zu beachten.

Zugespitzt formuliert: Auch ein totalitärer Diktator und Massenmörder wie Stalin war Atheist, aber kein Humanist. Säkularität sagt aus demokratietheoretischer Perspektive erst mal nicht viel. Für einen Humanisten sollten andere Aspekte noch hinzukommen, insbesondere die Menschenrechte als herausragendes Prinzip des eigenen Selbstverständnisses. Dies schließt übrigens die Religionsfreiheit ein, sofern diese nicht mit anderen Individualrechten kollidiert.

Um es konkret zu machen: Jemand, der sich als Humanist, zumal als "evolutionärer Humanist" (im Sinne der Giordano-Bruno-Stiftung) bezeichnet, kann eigentlich politisch nicht rechts stehen. Denn evolutionärer Humanismus bedeutet unter anderem auch eine antirassistische Einstellung. Eine Weltanschauung, die sich an den Menschenrechten orientiert kann doch nicht rechtspopulistisch sein. Oder doch?

Dies sollte eigentlich nicht so sein, kann aber doch so sein. Das liegt daran, dass sich als Humanisten verstehende Menschen mitunter ihre eigenen Prinzipien überhöhen. Ein säkularer Humanist wird beispielsweise auch den Islam als Religion ablehnen, er sollte aber die Muslime als Menschen akzeptieren. Dies ist kein Widerspruch.

Richard Dawkins hat etwa das Christentum als "Gotteswahn" fundamental herabgewürdigt und verworfen, er hat aber nie für eine Einschränkung der Religionsfreiheit von Christen plädiert. Ein solches Differenzierungsvermögen sollten auch Humanisten gegenüber den Muslimen entwickeln, was aber nicht immer der Fall ist.

Gleichsetzungen von Islam und Islamismus machen aus jedem Muslimen letztendlich einen potentiellen Terroristen. Hier bedarf es eines genauen Blickes auf den Kontext, wofür sich das Kompatibilitätstheorem anbietet – das ist indessen ein anderes Thema ...

Aber nochmal zurück zum "evolutionären Humanismus" und der Giordano-Bruno-Stiftung: Es gibt ja sowohl Anhänger wie Kritiker, welche die naturalistische Dimension der dabei vertretenen Auffassungen im Sinne einer biologistischen Verkürzung fehldeuten. Dabei handelt es aber um eine antirassistische und menschenrechtliche Grundposition, die an den Ideen der Aufklärung orientiert ist und auch von daher Rechtsextremismus wie Rechtspopulismus negieren sollte.

Spielen nicht ganz andere Dinge als Religion bzw. Religionsferne bei einer Wahl bzw. Parteipräferenz eine wichtige Rolle? Kann es sein, dass Menschen, die nicht in freiheitlichen Staatssystemen aufgewachsen sind, sich eher "den starken Mann" wünschen, der Entscheidungen abnimmt und Verantwortung? Und die AfD eben diese Rolle übernimmt.

Ja, die höhere Akzeptanz der AfD in den ostdeutschen Ländern hat kaum etwas mit der dort höheren Konfessionslosigkeit und Religionsferne zu tun. Dafür gibt es jedenfalls keine Belege, kann man doch keine Kausalitäten aus Parallelitäten ableiten. Ebenso wenig wie der hohe Anteil von AfD-Wählerstimmen etwas mit dem hohen Anteil von Konfessionslosen zu tun hat, hat der Rückgang der Geburtenrate etwas mit dem Rückgang der Störche zu tun.

In den ostdeutschen Ländern besteht auf mehreren Ebenen eine andere gesellschaftliche Rahmensituation als in den westdeutschen Ländern: Die sozioökonomische Entwicklung ist dort vergleichsweise immer noch rückständig, vor allem im ländlichen Raum mangelt es an beruflichen wie sozialen Perspektiven, bekannte politische Akteure wie die demokratischen Parteien sind dort gesellschaftlich nicht breiter verankert, eine einschlägige demokratische Zivilgesellschaft hat sich noch nicht breiter herausgebildet, es fehlt in der politischen Kultur an Sensibilitäten bezüglich Themen wie Migration, Nationalismus, Nationalsozialismus etc., die rechtsextremistischen Einstellungspotentiale sind dort auch bedeutend höher.

Es war ja kein Zufall, dass die NPD in zwei ostdeutschen Bundesländern in die Parlamente einziehen konnte, sie aber in den westdeutschen Bundesländern keine solchen Erfolge verbuchte. Der AfD gelingt dies mehr, wird sie doch als bürgerliche Partei wahrgenommen. Gleichwohl sollte bei all dem nicht nur auf den Osten geblickt werden, der "Rechtsruck" in der Gesellschaft ist ein gesamtdeutsches Phänomen.