Politischer Karneval in Düsseldorf

Krieg, Klima und kulturelle Aneignung

Nachdem er coronabedingt zweimal ausgefallen war, fand der Rosenmontagszug in Düsseldorf nun wieder statt, ganz ohne Pandemie-Auflagen. Hunderttausende Karnevalsbegeisterte feierten in den Straßen der Stadt. Was den Umzug dort so besonders macht: die politischen Mottowagen des bekannten Düsseldorfer Bildhauers und Beirats der Giordano-Bruno-Stiftung Jacques Tilly. Zwölf davon haben er und sein Team dieses Jahr aus Draht, Holz und Pappmaché geformt und kaschiert.

Jacques Tilly
Jacques Tilly verkleidet als Europa
(Foto: © Gisa Bodenstein)

Im vergangenen Jahr ist bekanntlich viel passiert: Während die Welt noch damit beschäftigt war, die letzte Phase der Pandemie und ihre Auswirkungen in den Griff zu bekommen, begann der russische Präsident mit seinem brutalen Versuch, die Ukraine zu unterwerfen und damit die Nachkriegsordnung in Frage zu stellen. Das wiederum hatte Auswirkungen auf den Weltmarkt und die Energiepreise, mündete in einer Inflation lange nicht gekannten Ausmaßes. Und dann wäre da noch der Klimawandel, der schneller eintritt, als viele es geahnt hätten. Eine Menge unerfreulicher Stoff also, um ihn im politischen Karneval satirisch aufzuarbeiten.

Zunächst war da aber natürlich die Tatsache, dass der Rosenmontagszug erstmals wieder in vorpandemischer Form stattfand: Ohne Abstand, ohne Masken (es sei denn natürlich, sie gehörten zur Verkleidung) und mit viel Alkohol. Klar, dass sich das auch in einem Mottowagen manifestierte: Zwei tieftraurige Jecken aus 2021 und 2022 mit Virus-Clownsnase neben einem dritten, fröhlichen mit einer 2023 auf der Narrenkappe. "Das war natürlich 'ne harte Tour für jeden Berufskarnevalisten, und für jeden, der das eigentlich braucht, einmal im Jahr die Sau rauszulassen. (…) Dieses Jahr wieder business as usual (…) und ich hoffe, die Corona-Sache ist endgültig vorbei", kommentierte Tilly selbst dazu in der Live-Übertragung des WDR.

"Zochnarren" 2021, 2022 und 2023
Foto: © grossplastiken.de

Doch dann wurde es ernst: als zweites fuhr ein Wagen, der das seit nun fast einem Jahr beherrschende Thema aufgriff und ohne jede Aufschrift auskam: Wladimir Putin, in einer Badewanne, versehen mit den ukrainischen Nationalfarben, bis zum Rand gefüllt mit Blut, schrubbt sich genüsslich den Fuß mit einer bluttriefenden Bürste (Titelbild). Der russische Präsident, der imperialen Machtfantasien folgend seine Staatsgrenze nach Westen zu verschieben sucht und dabei in Kauf nimmt, zehntausende seiner eigenen Bürger auf dem Schlachtfeld zu opfern, das Nachbarland zu verwüsten und dessen Bewohner um alles zu bringen, was sie haben, zu verletzen und zu töten. Eine Darstellung, die einen in ihrer Klarheit erschaudern lässt: Die viel gebrauchte Metapher des "Blutbades" war selten so passend. Zum zehnten Mal sei Putin nun schon im Zug dabei, stellte Moderator Sven Lorig fest – und dabei sollte es an diesem Rosenmontag nicht bleiben. "Diktatoren sind langlebiger als Demokraten", bemerkte er trocken.

Es folgte eine Hommage an die mutigen Frauen im Iran, die dort seit Monaten für ihre Freiheit kämpfen: Eine Frau mit wehendem, unbedecktem Haar, in dem sich ein "Mullarsch" verfangen hat. "Free Iran" stand darauf. Jacques Tilly sprach von einem "Solidaritätswagen" für die iranischen Frauen, "der uns voll und ganz aus dem Herzen spricht". Ob er keine Angst habe ob der Beleidigung der religiösen Führer im Iran, sei er gefragt worden. "Nein. Die Frauen dort wagen so viel mehr, das sind wir ihnen schuldig", so der Künstler gegenüber dem hpd.

"Solidaritätswagen" für die iranischen Frauen
Foto: © grossplastiken.de

Die vierte Darstellung widmete sich den sogenannten "Klimaklebern", die sich auf Straßen oder an Gegenständen festkleben und damit Abläufe blockieren, um so dem Thema Klimakrise mehr Beachtung zu verschaffen und politische Entscheider zum Handeln aufzufordern. "Wer ist hier der Klimaterrorist?", fragte die fahrende Karikatur, auf der eine Demonstrantin ein CO2-ausstoßendes und Braunkohle schürfendes, grimmig dreinblickendes Fahrzeug aufhält. Dieser Wagen wurde entgegen der üblichen Vorgehensweise vorab präsentiert und sorgte da bereits für Diskussionsstoff. Die abgebildete Aktivistin der "Letzten Generation" sei keine bestimmte Person, versicherte der Erschaffer dem WDR. "Das sind überwiegend junge Menschen, denen die Zukunft des Planeten wirklich am Herzen liegt und die viel dafür opfern und in Kauf nehmen, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir bald die Kipppunkte erreicht haben (…). Und mit diesen Zielen stimmen wir auch überein, nicht mit allen Methoden, aber mit den Zielen auf jeden Fall."

Wer ist hier der Klimaterrorist?
Foto: © grossplastiken.de

Der Themenkomplex rund um Identitätspolitik, Cancel Culture und kulturelle Aneignung treibt westliche Gesellschaften nach wie vor um. Damit hat sich auch Jacques Tilly auseinandergesetzt. Ausgerechnet umrahmt von Klängen des umstrittenen Lieds "Layla" bogen drei Figuren vor das Düsseldorfer Rathaus ein: Ein Papagei, ein amerikanischer Ureinwohner und ein als "Indianer" verkleideter Karnevalist. Sie werfen sich jeweils kulturelle Aneignung vor: Der Ureinwohner dem Karnevalisten und der Papagei, von dem die Federn für den Kopfschmuck stammen, dem Ureinwohner. "Damit will ich sagen: Kulturen mischen sich immer, es gibt immer jemanden, der es erfunden hat. Das ist ein sehr problematischer Begriff, 'kulturelle Aneignung', weil er darauf hinausläuft, dass die Kulturen sich möglichst trennen sollten und getrennt bleiben, und das ist eine Welt, in der ich gar nicht leben will. Letztendlich ist das ein rechtsradikaler Traum. Kulturen müssen sich mischen, das ist der Quell aller wahren Zivilisation."

Was ist kulturelle Aneignung?
Foto: © grossplastiken.de

Dann gab es gleich noch einmal Putin innerhalb eines Rosenmontagszuges: Diesmal ging es um den Nazi-Wahn des russischen Autokraten, dem selbst zunehmend faschistische Tendenzen attestiert werden, er diese jedoch ausschließlich bei anderen sieht und anprangert. So waren auch angebliche Nazis in der Ukraine die erste von mehreren Rechtfertigungen für seinen Angriffskrieg. "Das ist schon richtig irre natürlich, wie er das sieht und die russische Bevölkerung versucht, mit diesem Narrativ zu überzeugen, dass dieser Krieg, den er in der Ukraine führt, eigentlich ein wiederholter Zweiter Weltkrieg gegen den Nationalsozialismus ist. (…) Man muss natürlich fragen: Wer ist da letztendlich rechtsextrem? (…) Es ist schon eine ziemliche Verkehrung der Wirklichkeit, eine Verdrehung um 180 Grad", so der Düsseldorfer Karnevalswagenbauer im WDR-Kommentar.

Putins Wahn
Foto: © grossplastiken.de

Ein Herzensanliegen ist Jacques Tilly die europäische Idee. So hatte er sich auch als Europa verkleidet (Foto am Beginn des Artikels), mit europäischer Flagge am karnevalistischen Jackett, auf dem Kopf und sogar im Gesicht. Daher durfte auch diesmal der Brexit-kritische Wagen nicht fehlen. Er zeigte die "Miss Brexit", eine Tote umgeben von Ruinen. Dazu ihr Erschaffer: "Jetzt entfaltet erst mit sehr viel Verspätung der Brexit seine zerstörerische Kraft. Die britische Wirtschaft ist in der Talfahrt, die Armut greift um sich, die Probleme sind wirklich sehr, sehr groß, die England hat. (…) Diese Miss Brexit hält sich immer noch für schön, aber jeder kann sehen: sie ist inzwischen schon ziemlich skelettiert."

Miss Brexit
Foto: © grossplastiken.de

Dann hatte es in diesem Jahr eine Karikatur in die Umsetzung geschafft, die bereits im Spott-sei-Dank-Fenster des hpd erschienen war, die aber auch nach zwei Jahren noch aktuell ist: Kölns Skandal-Kardinal Rainer Maria Woelki, der sich entschlossen am Kölner Dom festklammert, während der Missbrauchsskandal an ihm zerrt, und der eine Turm des Kirchengebäudes schon Risse bekommt. Eine treffende Veranschaulichung der Tatsache, dass die Kirche noch immer nicht versteht, dass das Festhalten an Altem und Kleinreden von Verbrechen ihr mehr Schaden zufügt, als eine konsequente Reformierung und Aufarbeitung – inklusive Entschädigung – es je könnten. "Was den Mann umtreibt, versteht im Moment keiner mehr", bemerkte Tilly trocken über Woelki bei der WDR-Übertragung.

Woelki klammert sich an den Dom
Foto: © grossplastiken.de

Premiere als Figur im Zug feierte Bundeskanzler Olaf Scholz. Dargestellt als Zauderer, den Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Rammbock, verziert mit ukrainischer Flagge, vehement mit den Hörnern nach vorne stößt. Immer wieder hatte sie die Lieferung schwerer Waffen für die Verteidigung der Ukraine angemahnt, zu der Scholz sich lange nicht hatte durchringen können.

Scholz, der Zauderer
Foto: © grossplastiken.de

2027 soll in Düsseldorf der Evangelische Kirchentag stattfinden. Allein die Stadt will diesen mit 5,8 Millionen Euro unterstützen – während der durch die Corona-Pandemie schwer gebeutelte Rosenmontagszug gerade einmal 50.000 Euro erhält. Ein Skandal nicht nur für seine Mitarbeiter, die alle ehrenamtlich tätig sind. Der Zug bringt ein Vielfaches der Besucher in die Stadt als ein Kirchentag über mehrere Tage und richtet sich an alle, nicht nur an die gerade einmal 15 Prozent Protestanten in der Rhein-Metropole. Auch das griff Jacques Tilly auf: Der Düsseldorfer Löwe verbrennt beim Kirchentag schubkarrenweise Geld. Der Karikaturist sprach beim WDR von Kirchentagen als "Strohfeuer", bei denen keine bleibenden Werte geschaffen würden. Gegen die städtische Finanzierung des Kirchentags richtet sich auch ein Bürgerbegehren des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes (DA!), der den Rosenmontag nutzte, um Unterschriften zu sammeln.

Düsseldorf verbrennt Geld beim Kirchentag
Foto: © grossplastiken.de

Danach ging es wieder in die Bundespolitik, zum "Krötenminister" Robert Habeck, der seit seinem Amtsantritt als Minister für Wirtschaft und Klimaschutz als Grüner eine Kröte nach der anderen schlucken musste: Durch den Krieg in der Ukraine und die daraus entstehende Energiekrise musste er sich für Aufrüstung einsetzen, Atomkraftwerke länger laufen lassen und Gas aus diktatorisch geführten Staaten einkaufen. Die weltpolitische Lage lasse Habeck keine andere Wahl, als Politik gegen seine eigenen Überzeugungen zu machen, so Tilly über sein Kunstwerk, das sei die "Logik der Realpolitik".

Krötenminister Habeck
Foto: © grossplastiken.de

Symbolisch als letzter Mottowagen fuhr eine Personifikation des Zustands der Bundeswehr: Ein auf dem letzten Loch pfeifender Soldat muss einen Panzer trampelnd antreiben. "Ich glaube, dieser Wagen spricht auch für sich selbst", war der Kommentar des Düsseldorfer Bildhauers dazu.

Die Bundeswehr pfeift auf dem letzten Loch
Foto: © grossplastiken.de
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