Kommentar

Evangelische Kirche ruft zum "Lügen-Fasten" auf

Die diesjährige Fastenkampagne der evangelischen Kirche ruft zur gemeinsamen Wahrheitssuche und zum Lügenverzicht auf. Ein interessanter Ansatz, wenn das eigene Konzept bekanntermaßen auf Glauben und nicht auf Wissen beruht. Auch von katholischer Seite gab es schon ähnliche Forderungen, die nüchtern betrachtet doch reichlich absurd erscheinen.

Auf den ersten Blick ist man sich unsicher: Ist das ein Artikel des Postillon? Oder haben wir etwa schon den 1. April? Huch, wo ist die Zeit hin? Aber dann stellt man fest: Die meinen das ernst. Das Motto der evangelischen Kirche zur Fastenzeit lautet: "Mal ehrlich! Sieben Wochen ohne Lügen". Eine Institution, die ihre eigenen Grundfesten auf eine 2000 Jahre alte Hirtenmythologie gebaut hat, will also andere zur Ehrlichkeit ermuntern. "Wir wollen gemeinsam danach suchen, was die Wahrheit eigentlich ist und wie wir sie erkennen", heißt es im Grußwort von Arnd Brummer. Er ist Geschäftsführer der Aktion "7 Wochen ohne" – ja, die evangelische Kirche hat einen eigenen Geschäftsführer für ihre Fastenkampagne. Wie es Großkonzerne halt so machen.

Wenn wir uns diesen Satz jetzt mal auf der Zunge zergehen lassen: Die Protestanten wollen also gemeinsam mit ihren Gläubigen danach suchen, was Wahrheit ist. Heißt das dann, sie hinterfragt auch mal ihre eigenen Glaubensinhalte? Heißt das, sie hört auf, den Menschen im Brustton der Überzeugung weismachen zu wollen, dass da mal einer gelebt haben soll, der wundersame Heilungen vollbracht hat und nach seinem vom liebenden Vater verordneten Foltertod wieder auferstanden ist? Dass die Erde in sieben Tagen von einem im Sandkasten spielenden Gott gebastelt wurde? Räumt die Kirche dann etwa ein, dass die Bibel lediglich ein Märchenbuch voller Widersprüche ist und kein Dokument, aus dem man Handlungsmaximen für das 21. Jahrhundert ableiten sollte? Und nicht zu vergessen: hört sie auf, Martin Luther als Freiheitskämpfer und Wegbereiter der Aufklärung zu verehren? Oder soll nur wieder der gemeine Sünder schauen, was er alles falsch macht in seinem Leben?

Im aktuellen Wort zum Sonntag wurde die Ehrlichkeitskampagne ebenfalls beworben – allerdings ohne dies klar zu benennen. Das Fastenmotto ist natürlich abgeleitet vom achten Gebot, "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten". Pastorin Annette Behnken entfernte sich etwas vom Thema, indem sie hineininterpretierte, es gehe darum, nicht über andere zu lästern, sie schlecht zu machen, zu verunglimpfen. Da könnte ja der Liebling ihrer Kirche gleich mal mitmachen, wenn er denn noch lebte. Luther war ein Meister des Verunglimpfens: In beispielloser Weise hetzte er gegen Frauen, Bauern, Juden und Behinderte. Darauf wird in diesem Zusammenhang aber natürlich nicht verwiesen.

Das Ganze wirkt ähnlich grotesk wie die Nachricht vom letzten Jahr, als der Papst zum Kampf gegen Fake-News aufrief. Auch hier fühlte man sich geneigt zu sagen, dass er gerne den ersten Stein werfen und damit aufhören kann, selbige zu verbreiten. Absichtliche Falschnachrichten seien eine Gefahr für die Gesellschaft, berichtete damals Der Spiegel: "Das Drama der Desinformation ist die Diskreditierung des anderen, seine Stilisierung zum Feindbild bis hin zu einer Dämonisierung, die Konflikte schüren kann", wurde Franziskus zitiert. Würde man den Kontext nicht kennen, würde er auch ganz prima auf die katholische Kirche passen, man denke nur einmal an die Inquisition.

Die meisten Religionen haben eines gemeinsam: Sie leben von einer erfundenen Geschichte, die sie als Wahrheit ausgeben. Sie erklären aus machtpolitischen Gründen natürliche menschliche Eigenschaften vom Sex bis zum allgemeinen Spaß am diesseitigen Leben zu Sünden, nur um die Menschen, die ihnen das abnehmen, an sich zu binden. Um zu verhindern, dass die Schäfchen diese Taktik durchschauen, bekämpf(t)en Religionen stets das, was der aufgeklärte Mensch unter Wahrheit versteht: die Wissenschaft.

Dass dieser Geist immer noch fortlebt und in der Kirchenrepublik Deutschland seinen Weg in die Politik findet, zeigt eine Äußerung unserer – man ist geneigt, es in Anführungszeichen zu setzen – Bildungs- und Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU): "Wir lassen uns von unserem christlichen Menschenbild leiten. Jeder technologische Fortschritt hat sich dahinter einzureihen." Sie sagte das Mitte letzten Monats in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag. Wenn jeder Erfinder und Philosoph diesen Grundsatz berücksichtigt hätte, würden wir heute noch in Höhlen leben. Denn man kann ja praktisch alles als unvereinbar mit dem christlichen Menschenbild erklären, vor allem dann, wenn es die Menschen zu selbstbestimmten Individuen macht, die die Dinge hinterfragen, die man ihnen erzählt.

Seien wir ehrlich: Wenn die Kirche aufhören würde zu lügen, gäbe es sie nicht mehr. Wie viel Ernsthaftigkeit in diesem Fastenmotto steckt, kann sich also jeder selbst ausmalen. Den Evangelen dürfte die Absurdität ihres Lügenfastens nicht bewusst sein. Wie heißt es so schön? Selber merkt man’s nicht.