Das Versagen der Klimapolitik

Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen

Im Moment geschieht etwas Bedeutsames. Nach den Protesten gegen die Reform des Urheberrechts, den großen Fridays für Future-Demonstrationen für das Klima und aktuell einem viralen Video des deutschen YouTubers Rezo zeigt sich immer deutlicher, dass die Jugend sich nicht mehr mit Parolen hinhalten lassen will. Und es zeigt sich, wie wenig Politik und Medien imstande sind, mit dem Aufbegehren umzugehen.

Manch einer wird sich die aktuellen Proteste so radikal wie '68 wünschen. Weil es bedeutend einfacher ist, mit Wasserwerfern und Knüppeln zu reagieren als mit Argumenten. Doch die Jungen haben gelernt, dass mit friedlichen Protesten mehr zu erreichen ist als mit geworfenen Steinen.

Als sich im Jahr 2006 die Piratenpartei gründete, war das der erste Versuch, Interessen von Menschen unter 30 politisch zu artikulieren. Die Etablierten nahmen das häufig genug mit einem Lächeln zur Kenntnis. Und, ja, die Piratenpartei zerlegte sich selbst gründlicher, als das ihre politischen Gegner taten. Mit sehr wenigen Ausnahmen haben die Piraten den anfänglich riesigen Vertrauensvorschuss der Jungen verspielt. Dabei war es doch diese Partei, die das ihnen wichtige Thema überhaupt erst zu dem ihren machte: Netzpolitik.

Heute erinnert sich kaum noch jemand an die Proteste gegen die Einführung des Leistungsschutzrechts. Bereits damals protestierten (meist) junge, netzaffine Menschen gegen den Versuch, Offline-Politik in die digitale Welt zu übernehmen, ohne dabei auf die Eigenheiten des Internets Rücksicht zu nehmen. (Stichwort: "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum".) Das wunderte nicht, war doch das Netz für die Alten völlig unverständlich; "Neuland" halt, wie es Bundeskanzlerin Merkel noch im Jahr 2013 bekannte. Zu einem Zeitpunkt, in dem Internetunternehmen bereits Milliardenumsätze machten.

Im Jahr dreizehn nach der Gründung der Piratenpartei wurde die als unpolitisch wahrgenommene Jugend dann plötzlich wieder laut und auf den Straßen sichtbar. Als "blasse Nerds" verlachte junge Menschen gingen plötzlich zu Tausenden auf die Straßen Europas. Wieder einmal hatten sie den Eindruck, dass die Alten in ihre Kultur eingreifen, ohne sie zu verstehen. Insbesondere in Deutschland demonstrierten am 23. März 2019 Massen gegen die geplante (und inzwischen beschlossene) Reform des Urheberrechts, die neben wichtigen und notwendigen Anpassungen des Urheberrechts in Zeiten der Digitalisierung auch die Einführung von Uploadfiltern einschloss. Die Proteste richteten sich vorrangig nur gegen diese Einführung einer automatisierten Zensur. Waren und sind etliche der zu den Protesten Aufrufenden doch selbst Kreative, die sich ein besseres Urheberrecht wünschen.

Und wie reagierte die Politik auf die Proteste? Mit Beschimpfungen, mit dem Versuch, die Forderungen der Demonstranten ins Lächerliche zu ziehen oder gar mit Lügen und Unterstellungen. Unions-Politiker wie Axel Voss, der nachweislich viel zu wenig von der Materie verstand, konnten in Brüssel eine Verordnung durchdrücken, mit der sie so ziemlich jeden netzaffinen Bürger unter 30 in Europa gegen sich aufbrachten. Weder Kritik vom politischen Gegner noch die Einwände von Wissenschaftlern; ja, nicht einmal Stimmen der Vernunft aus den eigenen Reihen konnten Voss davon überzeugen, sich mit Fakten vertraut zu machen. Das hätte möglicherweise auch sehr peinlich für ihn werden können. Also wurde weitergemacht nach der Devise: Besser ein schlechtes Gesetz als einen Fehler einzugestehen.

Zusätzlich entwickelte sich in dem vergangenen halben Jahr eine inzwischen machtvolle Bewegung: Die Kinder und Jugendlichen, die unter dem Slogan "Fridays for Future" für einen Wandel in der weltweiten Klimapolitik demonstrieren. Auch hier war eine der ersten Reaktionen die des arroganten Besserwissens: FDP-Chef Christian Lindner empfahl den Demonstranten, lieber zur Schule zu gehen und Klimapolitik den Profis zu überlassen. Das, was Herr Lindner dann erlebte, nennt man unter netzaffinen Menschen "Shitstorm", sind es doch gerade die "Profis" aus der Politik, die viel zu wenig gegen den Klimawandel unternehmen.

Als den jungen Demonstranten unterstellt wurde, dass sie "nur Meinungen" hätte und keine "Beweise", stellten sich demonstrativ 26.000 Wissenschaftler hinter die streikenden Jugendlichen von "Fridays for Future" und bezeugten: Die Schüler haben recht und Klimaschutz ist dringend notwendig. Was seltsamerweise die Diffamierungen gegen die Streikenden nicht beendete. Im Gegenteil wurde ihnen von Philipp Amthor (26, CDU) angeraten, doch bitte in der schulfreien Zeit zu streiken. Wohl, weil das nicht so störend wäre.

In der vergangenen Woche nun, der Woche vor der Europawahl, veröffentlichte der Musiker, Künstler und YouTuber Rezo ein Video mit dem (etwas martialischen) Titel: "Die Zerstörung der CDU", in dem er den Politikern, insbesondere den Unions-Politikern, komplettes Versagen vorwirft.

Es soll hier nicht das komplette Video analysiert werden. Es empfiehlt sich, das knapp einstündige Video anzuschauen und sich selbst ein Urteil zu bilden. Im Video analysiert Rezo das Verhalten der Union (und zum Teil auch der SPD als Koalitionspartner) in Sachen Urheberrecht, Cannabis-Legalisierung, Krieg und vor allem Klimawandel. Man sollte dabei wissen, dass Rezo bereits Mitte März ein Video veröffentlichte, das immerhin (Stand 25.05.2019, 19:30 Uhr) 847.299 Aufrufe hatte, in dem er sich mit den unsachlichen Debatten um den Artikel 13 – also der oben erwähnten Urheberrechtsreform – auseinandersetzte. Mit diesem Wissen versteht man besser die Intention und die "Tonlage" des aktuellen Videos. Ihm wird schließlich vorgeworfen, nicht sachlich und "zu emotional" zu sein sowie zu sehr zu überspitzen.

Was dabei außer Acht gelassen wird: Im vergangenen Jahrzehnt hat sich unter YouTubern (und das meint sowohl Macher als auch Nutzer/Kommentatoren) eine eigene Umgangskultur etabliert. In diesem Kontext ist Rezos Video noch als zwar aufgeregt aber sachlich zu bewerten. Rezo liefert zu seinem – manchmal polemisch überspitzten – Text 13 Seiten Quellenangabe mit, in der genau dokumentiert ist, welche Quellen er nutzte. Ihm vorzuwerfen, er würde "Fake News" verbreiten, wie es Matthias Hauer von der CDU tat, oder ihn als "linksgrünen Aktivisten" zu diffamieren, wie Jens Münster es in einem (bereits gelöschten, aber gesicherten) Tweet versuchte, oder – wie es Verschwörungstheoretiker auch gern tun – ihm "unsaubere Recherche, einseitige Darstellung" zu unterstellen und dass er "andere Meinungen … einfach außen vor" lasse (Zitat: Marian Brecht via Twitter) zeugt nicht gerade von einem professionellen Umgang mit Kritik. Es klingt nach dem Jaulen getroffener Hunde.

Dabei war es vor allem die Angst davor, von den Politikern sehenden Auges in die Klimakatastrophe geführt zu werden, die Rezo dazu brachte, dieses Video zu produzieren. Es ist der Aufschrei einer ganzen Generation, der er eine Stimme gibt; einer Generation, die all das ertragen muss, das wir – wenn wir nicht heute schnelle Maßnahmen ergreifen – ihnen hinterlassen werden. Und es klingt wie eine Bestätigung, wenn SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley das historisch schwache Ergebnis ihrer Partei bei der gestrigen Europawahl auch auf Defizite beim Thema Klimaschutz zurückführt.

Die (Stand 26.05.2019, 19:50 Uhr) 11,5 Millionen Klicks zeigen, dass Rezo mit dem Video einen Nerv getroffen hat. Das Video wäre nicht so aufgenommen worden, wenn die Stimmen der Jungen bei der Debatte um die Urheberrechtsreform nicht so arrogant übergangen oder wenn die Forderungen der "Fridays for Future" nicht als "Kinderkram" abgetan worden wäre.

Es wäre vermessen zu behaupten, dass das Video Einfluss auf das Wahlergebnis der Europawahl hatte. Das Zerbröseln der SPD hat schon viel früher begonnen. Aber möglicherweise hat das Video und insbesondere auch die Debatte über das Video in den "alten" Medien dazu beigetragen, dass CDU/CSU einen historischen Tiefstwert eingefahren haben und die Grünen die zweitstärkste Kraft wurden.


PS: Mehr als 90 deutsche YouTuber haben auf die unsachliche Kritik der Unionspolitiker bereits reagiert. In einem Video von Freitag heißt es: "Es gibt viele wichtige politische Themen, aber nach der Risiko-Hierarchie hat die potentielle Zerstörung unseres Planeten offensichtlich die höchste Priorität. Jedes andere Thema muss sich hinten anstellen."

PPS: Die Überschrift des Artikels ist längst ein Internetmeme: Woher dieser Spruch ursprünglich stammt, ist nicht ganz klar. Bei Twitter wurde er mit hoher Wahrscheinlichkeit erstmals von Max von Webel verbreitet. Er wurde später häufig auf Demos der Piraten und bei den "Freiheit-statt-Angst"-Demos gesehen.